Es geht um jeden Euro

Experten fordern bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales Nachbesserungen am neuen Entsendegesetz

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine komplizierte Materie. Die Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie in deutsches Recht sorgt für Diskussionen. Den Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums bewerteten in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales Expert*innen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie aus der Wissenschaft.

Während die Arbeitnehmer*innenseite kritisiert, dass der Gesetzentwurf nicht weit genug geht und hinter dem zurückbleibt, was die EU-Richtlinie von 2018 vorgibt, befürchtet die Arbeitgeber*innenseite mehr Bürokratie und eine Schwächung der Tarifautonomie.

Einer der Hauptstreitpunkte ist die Frage, welche Tarifverträge für EU-Bürger*innen, die nach Deutschland zum Arbeiten entsendet wurden, hier gelten sollten. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge auch für ausländische Beschäftigte gelten. Im deutschen Gesetzentwurf sind regionale Tarifverträge zunächst ausgenommen. Das heißt: Wenn es einen bundesweiten allgemeinverbindlichen - also für alle Beschäftigten einer Branche geltenden - Tarifvertrag gibt, gilt der ab sofort für entsandte Beschäftigte. Wenn der Tarifvertrag dagegen nur regional gilt, gilt er für die ausländischen Beschäftigten erst, wenn sie länger als 18 Monate in Deutschland arbeiten.

Der DGB, Grüne und Linke kritisieren diese Einschränkung. Sie untergräbt ihrer Ansicht nach das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort«. Die im Ausschuss am Montag angehörten Expert*innen waren naturgemäß nicht einer Meinung. Der Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Roland Wolf, sagte, die Umsetzung der Richtlinie für alle, also die regional geltenden Tarifverträge, wäre ein Bruch mit dem in Deutschland bestehenden Tarifvertragssystem und ein »schwerer Eingriff« in die Tarifautonomie. Die sieht vor, dass Unternehmen oder ihre Verbände und Beschäftigte beziehungsweise ihre Gewerkschaften ihre Vertragsbeziehungen ohne staatlichen Eingriff frei verhandeln können.

Gewerkschaften und in der Anhörung befragten Arbeitsrechtler lassen diese Kritik nicht gelten. Antonius Allgaier, der für den DGB an der Anhörung teilnahm, verwies auf die in der Bauwirtschaft geltenden regionalen Tarifverträge. Diese würden gut funktionieren. Es gehe darum, das deutsche Tarifvertragssystem auch für ausländische Beschäftigte »gangbar« zu machen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung müsse an der Stelle deutlich nachgebessert werden.

Ähnlich sieht das Nadine Absenger, Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Vorstand. Der Gesetzentwurf setze die Richtlinie nicht ausreichend um. Die Arbeitnehmerentsendung sei ein hochprekärer Bereich. Deshalb brauche es einen schärferen Schutz der Beschäftigten.

Die Frage, welche Tarifverträge gelten sollen, ist nur eine Kritik, die am Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) laut wurde. Die mangelhafte Umsetzung der EU-Richtlinie wird auch an anderer Stelle kritisiert.

Was wirkt wie ein Streit ums Tarifrecht unter Jurist*innen, von denen zwei zusammen sprichwörtlich drei Meinungen haben, hat einen durchaus politischen Hintergrund. Rund zwei Millionen entsendete Beschäftigte arbeiten in den EU-Mitgliedsstaaten. Diese Zahl ist zwischen 2010 und 2015 um 41 Prozent gestiegen. Die Arbeitsbedingungen sind oft unterirdisch, und wo keine Tarifverträge gelten und das auch nicht kontrolliert wird, sind schlechte Arbeitsbedingungen und Lohndumping - unter dem auch Unternehmen leiden - an der Tagesordnung. Darum muss der Gesetzgeber eingreifen.

Den Kritiker*innen scheint es kaum verständlich, warum die Bundesregierung hinter der EU-Richtlinie zurückbleibt. Arbeitsrechtler Florian Rödel von der Freien Universität Berlin brachte es auf den Punkt: Es sollten alle Schritte unternommen werden, um die internationale Lohnkonkurrenz abzuschwächen, »und da zählt jeder Euro«. Denn die Angleichung der sozialen, Lohn- und Arbeitsbedingungen sei einer der Grundpfeiler der europäischen Integration.

Den Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes wird der Bundestag am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung beraten.

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