Geschäfte auf Kosten der Umwelt

Der russische Bergbaukonzern Norilsk Nickel ist wegen ökologischer Katastrophen in der Kritik

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

Norilsk ist die nördlichste Stadt der Welt - und fest in der Hand von Norilsk Nickel. Der Bergbaukonzern, auch Nornikel genannt, ist nicht nur der größte Arbeitgeber der Stadt, er kontrolliert auch die städtische Politik und Infrastruktur, wie der Moskauer Stadtabgeordnete Sergej Mitrochin zu seinem Leidwesen erfahren musste. »Wir sind Nornikel«, erklärten ihm am vergangenen Samstag die Angestellten des Sicherheitsdienstes am örtlichen Flughafen, als sie den Politiker daran hinderten, Wasser- und Bodenproben aus der Stadt auszuführen. »Es hat sich herausgestellt, dass der Flughafen Alykel das Privateigentum von Nornikel ist«, so der sichtlich konsternierte Politiker.

Und auf seinem Privateigentum will Nornikel Ruhe, denn der Konzern steckt in der Krise - selbstverschuldet wohlgemerkt. Am 29. Mai waren bei einer Umweltkatastrophe in Norilsk 21 000 Tonnen Dieselöl aus einem Kraftwerkstank eines Tochterunternehmens von Nornikel ausgelaufen. Doch über das Ausmaß der Verschmutzung gibt es nach wie vor keine verlässlichen Informationen. Mitarbeiter der Umweltorganisation Greenpeace hatten daher Wasser- und Bodenproben auf dem Unfallgebiet gesammelt und Mitrochin gebeten, diese einem unabhängigen Labor zur Untersuchung zu übergeben.

Derweil berichtete die Zeitung »Nowaja Gaseta« am Wochenende von einem neuen Umweltskandal in Verbindung mit dem Konzern. Demnach wurden Tausende Kubikmeter Abwässer der erzaufbereitenden Anlage Talnach ungeschützt in die Tundra geleitet. Die Fabrik habe das Abwasser absichtlich in die Wildnis geleitet und die Rohre hastig entfernt, als Ermittler eintrafen, berichtete die Zeitung. Am Sonntag bestätigte das Unternehmen nach einigem Zögern den Vorfall. Es habe sich aber um bereits geklärtes Abwasser gehandelt, so eine Konzernsprecherin.

Die wiederkehrenden Umweltkatastrophen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem russischen Wirtschaftsmodell, das überwiegend auf der Ausbeutung und dem Export von Rohstoffen basiert.

Als sich Russland in den 1990er Jahren unter Präsident Boris Jelzin über Nacht dem kapitalistischen Weltmarkt öffnete und gleichzeitig Subventionen für die einheimischen Firmen drastisch reduzierte, konnten viele Industrieunternehmen der westlichen Konkurrenz nicht standhalten. Ganz anders war die Lage im sogenannten militärisch-industriellen Komplex. Rüstungsunternehmen, aber auch Zulieferer aus der Aluminium- und Stahlindustrie oder Rohstoffproduzenten konnten ihre Produktion auf den Weltmarkt ausrichten. So auch Norilsk Nickel.

Heute stammt mehr als 90 Prozent des in Russland produzierten Nickels von Norilsk Nickel, davon werden über 70 Prozent exportiert, hauptsächlich im unverarbeiteten Zustand. Wichtigste Abnehmer sind Deutschland und die Niederlande.

Die Exportorientierung ist dabei außerordentlich lukrativ. 2019 erwirtschaftete Norilsk Nickel einen Reingewinn von sechs Milliarden US-Dollar und gehört damit zu den rentabelsten russischen Unternehmen.

Die Gewinnspanne ist auch deswegen so groß, weil die bei Rohstoffabbau und -verarbeitung anfallenden Umweltzerstörungen seit Jahrzehnten auf Natur und Menschen abgewälzt werden. Seit langem gehört Norilsk zu den Städten mit der weltweit höchsten Verschmutzung, überdurchschnittlich viele Bewohner klagen über Atemwegserkrankungen. Doch über die Emissionswerte der Fabriken von Nornikel gibt es keine verlässlichen öffentlichen Angaben, kritisiert die russisch-norwegische Umweltorganisation Bellona. Hinzu kommt, dass auf föderaler Ebene Rohstoffförderung und Umweltschutz im selben Ministerium angesiedelt sind und dieser Interessenkonflikt überwiegend zugunsten der Rohstofflobby entschieden wird.

Einen wichtigen Anteil daran hat der Hauptaktionär von Norilsk Nickel: Wladimir Potanin. Als einer der berüchtigten »sieben Bankbarone« mobilisierte der Oligarch schätzungsweise eine Milliarde US-Dollar, um die drohende Niederlage Jelzins bei den Präsidentschaftswahlen 1996 gegen den Kommunisten Gennadij Sjuganow abzuwenden. »Gesetz und Ordnung sind privatisiert«, tönte Potanin, als er im Anschluss den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten für wirtschaftliche Belange übernahm und sich in den dubiosen Privatisierungsprozessen den Löwenanteil an Norilsk Nickel sicherte.

Obwohl Wladimir Putin mit seinem Amtsantritt versprach, die Oligarchen als Klasse »auszurotten«, konsolidierte Potanin das Unternehmen in den 2000er Jahren und setzte auf internationale Expansion. Und trotz der gewaltigen Umweltzerstörungen droht Potanin unbehelligt davon zu kommen.

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