Inflationäre Apokalypse

Die Serie »Dark« ist genau das, was der »Tatort« gerne sein möchte: Die finale dritte Staffel ist jetzt da

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Fantastische Erzählstoffe, vor allem wenn sie im Serienformat über mehrere Staffeln hinweg komplexe Sujets entwerfen, müssen sich daran messen lassen, ob sie dann in der finalen Auflösung das Niveau halten können. Die Science-Fiction-Serie »Dark«, das hiesige, weil in Deutschland produzierte Aushängeschild von Netflix, kommt zumindest ganz am Ende mit einem wirklich eindrucksvollen und nicht bemüht konstruierten Schlussakkord daher, der das vielschichtige Kleinstadtdrama im wahrsten Sinn des Wortes auflöst. »Dark« ist vor allem eine Genre-Serie, in der es um Zeitreisen geht und um die Frage, wie viel Handlungsfreiheit dem einzelnen Subjekt in kollektiv ausgehandelten historischen Kontexten bleibt. Oder gibt es sogar schwer durchschaubare, geheimnisvolle Mächte, gegen deren koordiniertes Handeln kaum etwas auszurichten ist?

Daneben ist »Dark« aber auch eine sozialrealistische Reise durch die Bundesrepublik der letzten Jahrzehnte. Anhand mehrerer kunstvoll ineinander verschlungener Familiengeschichten aus einer fiktiven Kleinstadt im Nirgendwo wird ein soziales, kulturelles und gesellschaftliches Panorama im Wandel der Zeit entworfen. Es geht um romantische Coming of Age-Geschichten, banalen Arbeitsalltag, große Pläne für die Zukunft, Missbrauch, Ehebruch, berufliche Karrieren, ökonomischen Absturz, Punk sein in der Provinz und kleingeistige Eifersüchteleien.

Insofern ist »Dark« genau das, was der Tatort gerne sein möchte: eine fiktionalisierte TV-Version der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der sich jeder und jede auf die eine oder andere Art selbst finden oder etwas entdecken kann, von dem man sich definitiv abgrenzen will. Denn »Dark« ist, wie der Titel schon sagt, düster und wird es in der dritten Staffel noch viel mehr. Die Zeitreisen der Kleinstadtbewohner, ihre Versuche, etwas am eigenen Schicksal zu ändern oder Geheimnisse zu lüften, führen fast allesamt in eine gewalttätige, mörderische Zukunft oder Vergangenheit, in der die ganzen Hoffnungen der Akteure, etwas besser machen oder ändern zu können, radikal zurechtgestutzt werden. Und genau da stellt die Serie dann plötzlich die Frage, ob es nicht doch auch etwas ganz anderes geben könnte, ob diese Welt wirklich die einzige ist oder hinter diesem Titel gebenden Dunklen noch etwas Anderes wartet.

An diesem Punkt könnte die Erzählung fast politisch werden, sie tut es aber leider nicht und bleibt stattdessen in einer ziemlich prätentiösen Mystery-Geschichte stecken, in der es ganz hochtrabend um Schicksal und Vorbestimmung geht und dabei ziemlich platte Dichotomien im Stil von Yin und Yang und Adam und Eva aufgemacht werden.

Das ist stellenweise richtig ärgerlich und nervig, denn »Dark« ist von der narrativen Anlage und der dramaturgischen Entwicklung her Fernsehunterhaltung auf hohem Niveau mit ausgezeichneten Schauspielern, plätschert aber in der dritten Staffel über weite Strecken hinweg zu sehr als bemüht schicksalsschwere Endzeit-Fantasy dahin, in der das Wort Apokalypse inflationär gebraucht wird. Wobei die Bilder und Settings, die dabei entworfen werden – von Nebelbänken durchzogene Wälder, verwüstete Endzeitlandschaften und die wie ein Logo immer wieder auftauchende havarierte Atomanlage der Kleinstadt – genau an jene stimmungsvolle und beängstigende Inszenierung anschließen, die typisch für die Serie und ihren massenpublikumstauglichen Erfolg ist.

Geht es in »Dark« letztlich um Schicksal oder ist die Serie dann doch eine Geschichte über die Unkontrollierbarkeit von Technologie, für die das Atomkraftwerk und das Jahr 1986, in dem ein Teil der Handlung angesiedelt ist und auch die Reaktorhavarie in Tschernobyl passierte, ikonographischen Charakter haben? Am Ende bekommen die Macher dann zum Glück doch noch die Kurve und finden einen schlauen und dramaturgisch geschickten Dreh, um dieses vielschichtige Opus stimmig und pointiert aufzulösen.

»Dark«, auf Netflix

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