Aufräumen mit den Erwerbslosen-Klischees

Hartz-Sanktionen abschaffen, Regelsätze anheben, Vorurteile ausräumen - Sozialbündnis macht Druck

Endlich mit dem Märchen von den Hartz-IV-Empfänger*innen aufzuräumen, die den ganzen Tag faul in der Hängematte liegen - das ist eines der Ziele, die die Infokampagne Hartz-Facts erreichen will. Bilder von faulen Sozialhilfeempfängern seien 2003 produziert worden, um der Agenda 2010 politische Akzeptanz zu verschaffen, meint Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei am Dienstag auf der Pressekonferenz zum Kampagnenauftakt. »Schließlich ging und geht es immer noch um massive Einschnitte in der deutschen Sozialversorgung.«

Vorurteile gegenüber Hartz-IV-Empfänger*innen sind allgegenwärtig, das zeigen sowohl eine ältere Allensbach-Umfrage als auch eine aktuelle von Hartz-Facts. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Befragten glaubt, Menschen in Hartz-IV-Bezug wollten gar nicht arbeiten. »Hartz IV ist zugleich Stigma, ist Meinung, ist Urteil und vor allem ist es Vorurteil«, erklärt Steinhaus am Dienstag.

Im Rahmen von Hartz-Facts hängen Plakate in sieben Städten an Haltestellen, um auf die Kampagnenwebsite aufmerksam zu machen. Dort wird mit Vorurteilen gegenüber Erwerbslosen aufgeräumt, und es werden Fakten erklärt. Etwa, dass 1,6 Millionen Menschen zusätzlich zur Sozialhilfe die Essensausgabe der Tafel nutzen. Oder dass die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, für Hartz-IV-Beziehende um 84 Prozent höher liegt. Oder dass Betroffene keine Freizügigkeit genießen, sondern sie eine Abwesenheit vom Wohnort rechtzeitig beim Jobcenter beantragen müssen.

Auf der Pressekonferenz fasst Steinhaus zusammen, dass für 5,8 Millionen Menschen Hartz IV nicht nur Armut, sondern immer auch soziale Ausgrenzung bedeute: »Aus finanziellen Gründen nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können ist die eine Sache«, doch die permanente Stigmatisierung sei besonders belastend. »Diskriminierung ist ein unbewusster und unterschwelliger Prozess und genau deswegen so gefährlich.« Die Kampagne mache es sich zum Ziel, diese Diskriminierungen aufzulösen. Permanenter Generalverdacht gegenüber Hartz-IV-Beziehenden, Schuldzuweisung, angebliche Unwilligkeit zu arbeiten sowie Kontrolle der Behörden bis in die tiefste Privatsphäre der Betroffenen sind Alltag. »Hartz-IV-Beziehende sind der Sündenbock der Leistungsgesellschaft«, sagt Steinhaus.

Auch Ulrich Schneider, Geschäftsführer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, nahm an der Pressekonferenz teil. Er erklärte, die Kampagne werde den Höhepunkt sicher im Oktober erreichen, wenn der Bundestag über die Höhe der neuen Regelsätze entscheidet. Die beiden Organisationen fordern eine Abschaffung der Sanktionen und eine Anhebung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro. Seiten 3 und 10

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