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Flucht aus der Verantwortung

Die WHO zu verlassen, könnte für die USA schwieriger werden, als Trump denkt

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitten in der Corona-Pandemie haben die USA ihren angekündigten Austritt aus der krisengeschüttelten Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeleitet. Der US-Austritt wird in einem Jahr, am 6. Juli 2021, in Kraft treten. Zunächst hatte die US-Regierung den Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, über den Schritt informiert. Die Benachrichtigung sei am Montag erfolgt, hieß es von einer WHO-Sprecherin.

Unter den 194 WHO-Mitgliedern sind die USA der größte Beitragszahler. Falls die UN-Organisation die Gelder aus Washington nicht langfristig ersetzen kann, müsste sie laut Diplomaten Gesundheitsprogramme ganz oder teilweise streichen.

Jedoch dürfte es nicht so einfach sein, aus der Organisation herauszukommen, wie es sich der US-Präsident vorstellt. Das hat zunächst formale Gründe, denn in der WHO-Gründungssatzung fehlt eine Regelung für Länder, die sich aus der Organisation zurückziehen wollen. Und in einer Resolution, die 1948 von beiden Häusern des US-Kongresses angenommen wurde, ist festgehalten, dass die Vereinigten Staaten für einen solchen Fall eine einjährige Frist einhalten und zudem alle ausstehenden Beiträge bezahlen. Ob das Weiße Haus sich daran gebunden sieht und welche Macht der Kongress hat, bei dieser früheren Entscheidung zu bleiben, ist noch unklar. Zumindest teilweise scheint selbst Trump sich daran halten zu wollen. Aber, so weit die WHO-Verfassung greift, bleiben Länder, die der Organisation beitreten, für immer deren Mitglied.

1949 hatten die Sowjetunion und die sozialistischen Länder ihre Mitarbeit aufgekündigt - und zwar wegen Bedenken, dass die USA in der WHO zu dominant seien. Diese Staaten kehrten jedoch nach Stalins Tod im Jahr 1953 zurück. Das Fehlen eines formalen Austrittsmechanismus erlaubte es dem ersten WHO-Generaldirektor, dem Kanadier Brock Chisholm, die sozialistischen Staaten eher als »inaktiv« denn als »ausgetreten« zu bezeichnen. Etwas Ähnliches könnte auch jetzt geschehen und damit eine Möglichkeit für die eventuelle Rückkehr der USA eröffnen. Trumps Entscheidung, die USA aus der WHO austreten zu lassen, scheint einem Muster zu folgen, dem auch die Entscheidung zum Verlassen der Kultur- und Wissenschaftsorganisation Unesco von 2017 entspricht, wie auch zur einseitigen Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran 2018.

Aber die jüngste Entscheidung ist insofern anders, als dass jetzt selbst einflussreiche Republikaner Trump zum Einlenken drängen. Ihre Bedenken gegenüber dem Schritt gehören zu den inhaltlichen Gründen gegen einen wie auch immer abzuwickelnden »Austritt«. Ein Argument dabei ist der wichtige Einfluss, den sich die USA, ihre Forscher und Institutionen damit verschenken. Die Wissenschaftler sind noch Mitglieder etlicher Beratergruppen der WHO, einschließlich der zu Covid-19. Das US-Center for Disease Control and Prevention, eine US-Gesundheitsbehörde, arbeitet ebenfalls eng mit der UN-Organisation zusammen. Einer der Schwerpunkte dabei ist etwa die Überwachung der saisonalen Grippe (Influenza) und der Entscheidungen über die jeweilige Impfstoffproduktion.

Ein anderer Faktor in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit in der UN-Organisation könnte der Verlauf der Corona-Pandemie in den USA selbst sein. Wenn hier die Zahlen von Ansteckungen, und mehr noch von Schwerkranken und Todesfällen, weiter ansteigen, wird der WHO-Austritt möglicherweise als zusätzlicher Kritikpunkt für das Versagen der Regierung in der Gesundheitskrise gewertet. Gegner von Trump betonen, der US-Präsident wolle mit seiner WHO-Kritik von eigenen Fehlern und Versäumnissen in der Corona-krise ablenken. Der designierte Kandidat der US-amerikanischen Demokraten für das Präsidentenamt, Joe Biden, erklärte, dass er im Falle seines Wahlsieges den Austritt am ersten Tag im Weißen Haus rückgängig machen werde. Die amerikanischen Bürger seien sicherer, wenn sich die USA für die Stärkung der globalen Gesundheit einsetzten.

Die Vereinigten Staaten hatten 553 Millionen US-Dollar für den Zweijahreshaushalt 2020 und 2021 der WHO zugesagt. Der WHO-Zweijahreshaushalt beläuft sich auf 4,8 Milliarden US-Dollar. Mit Agenturen

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