Keine Power von Dauer

Berlins kulturelle Defizite und der Fluch baulichen Größenwahns

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Ach, ihr Verbesserer und Aufarbeiter von Bestehendem. Ihr spielt so gern die Beseitiger und Aufräumer auf ideologisch anders gepoltem Areal. Ihr saht es immer messerscharf: Da ist etwas kontaminiert, was entsorgt werden muss. Ihr meint es immer gut. Ihr müsst immer alles zum Besseren wenden. Höher, weiter, kostbarer. Also kostspieliger. Wenn man eure tiefschürfenden Statements hört oder liest, zuckt man gelegentlich zusammen - aus verhaltener Hochachtung. Wie meisterhaft da Demokratie in Bürokratie transformiert wird. Strukturen. Verfahrensweisen. Es ist nur noch von Zahlen, Statistiken, Finanzen die Rede. Wo bleibt die Kunst?

In dem, was einmal »Reichshauptstadt« genannt wurde, kulminieren nun, da es sich um die Hauptstadt einer Republik handelt, seit drei Jahrzehnten alle Aktivitäten. Schweren Herzens vom inzwischen so lieb gewordenen Provisorium Bonn verabschiedet, möchtet ihr das Eigentliche in Berlin ganz up to date, also nach neuester Mode, die in veritas die alte ist, herrichten, gerichtet haben. Trotz aller politischen und ökonomischen Probleme gilt Berlin schließlich als ein Kulturstandort allererster Güte. Die Stadt an der Spree soll sich mit London, Paris und New York messen können. Das sollte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz regeln.

Deren Name hat den Nachteil, dass er weniger den »Duft der großen weiten Welt« als provinziellen Mief versprüht. Wieso der Reichtum an gebauter und gesammelter Kunst in Obhut einer Institution mit der Begrenzung »preußisch« gegeben wurde, ist schwer erklärbar. Da ist etwas mit heißer Nadel gestrickt worden. Die 1957 gegründete Stiftung, gepriesen als größte deutsche Kultureinrichtung, hat bis 1989 den Osten nicht tangiert. Dann kam die Phase der Vereinnahmung - auch der dort lagernden Schätze, der im von Nazideutschland entfesselten Krieg zerstörten und mühselig wiederaufgebauten historischen Bauwerke samt ihrem jeweiligen hochkarätigen Fundus: vom Zeughaus über die Universität Unter den Linden, die Staatsbibliothek und Lindenoper bis zu Altem Museum, Nationalgalerie, Pergamon- und Bodemuseum. Nicht zu vergessen die gerade erst wiedererstandenen historischen Ensembles von Gendarmenmarkt und Nikolaiviertel, fantasievoll modernisiert. Ein sensationeller Wertzuwachs, international herzeigbar.

Kundige Politiker gingen als Kenner der Substanz Anfang der 90er Jahre daran, weiterzuentwickeln, was im Ost-West-Wettbewerb erhalten oder gewachsen war. Ob sie nun Volker Hassemer (CDU), Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, oder Ulrich Roloff-Momin (parteilos, für SPD), im Senat zuständig für kulturelle Angelegenheiten, hießen, sie wussten, worum es ging. Aber dann folgte Stillstand. Es schien ein Glück, als die linken Politiker Thomas Flierl und Klaus Lederer als Kultursenatoren ostdeutsche Erfahrung und Sensibilität einzubringen verhießen. Doch was konnten sie noch retten, als Abriss bereits praktiziert war und eigene neue Konzepte negiert wurden? Die in den Museen verwahrten Kunstleistungen des Ostens blieben weitgehend unter Verschluss. Einzigartig bestückt, wuchert die Nationalgalerie nicht mit ihrem Pfund, das Kupferstichkabinett schlummert im Depot. Letzteres versteckt wahre Kostbarkeiten an Grafik.

Ost und West in Teamwork? Das war eher Ausnahme. Es wurde nur geschaltet und gewaltet, nach den marktkonformen, im Westen Deutschlands gängigen Mustern.

Die Besucherzahlen in Museen sind heute ernüchternd. Wen wundert es? Die Hälfte der Baulichkeiten wird »umstrukturiert«, wie es in der Amtssprache heißt. Der Gropius-Bau sucht ein neues Profil. Das Kulturforum ein Monstrum von Nichts. Der Hamburger Bahnhof steuert in den Strudel von Bodenspekulation. Die Tickets für die aus einem Baudesaster mühsam errettete Staatsoper Unter den Linden werden für das Gros der Bürger langsam, aber sicher unbezahlbar. Die verschiedenen kulturellen Standorte in Berlin dümpelten schon Monate vor der Corona-Pandemie lustlos vor sich hin. Keine Power von Dauer.

Die für die hauptstädtischen Schätze zuständige Stiftung Preußischer Kulturbesitz gerät in den Verdacht, eine elegante Umschreibung für die Verwaltung der vielen Dauerleihgaben der in der Revolution von 1918/19 gestürzten kaiserlichen Majestät und ihrer Nachfolger zu sein. Die nach Rückgabe gierende Familie Hohenzollern wird mit dem originalgetreuen Nachbau des Stadtschlosses samt kreuzbekränzter Kuppel, dem ein Volkshaus, der Palast der Republik weichen musste, wohl kaum besänftigt sein.

Nun steht im Herzen Berlins der Schloss-Koloss als Zeichen für maßlose Rechthaberei. Man verspricht zwar bußfertig, darin koloniale Verfehlungen und Verbrechen zu dokumentieren, was jedoch von vielen in seiner Ernsthaftigkeit bezweifelt wird und neuen Anstoß erregt. Gratuliere! Neben dem Disney-Bau breitet sich die betonierte Kapitalverherrlichung weiter aus. Die einst schmucke Gegend rund um Fernsehturm und Alexanderplatz, längst vom Ruch der DDR-Zeit befreit, soll hoch bebaut werden, mit historisierenden Einsprengseln. Kleinteilerei im Schatten der Monster. Verengung und Verlegung von Straßenführungen greifen einschneidend-verwirrend in einst gut durchdachte Stadtgestaltung ein. Im Schatten einer vermeintlichen, gepriesenen Moderne wirken derweil restaurative Kräfte munter weiter. Beispiel: die Hedwigskathedrale, die altbacken aufs katholische Offizialmaß zurückversetzt werden soll, trotz Kritik. Am Dienstag vergangener Wche hat das Berliner Landgericht eine Klage gegen Veränderungen in der katholischen Hauptkirche Berlins abgelehnt.

Misslungene sozialistische Umgestaltung wird von einer zur Hochform auflaufenden kapitalistischen Verschandelung abgelöst. Schöpferische Aktivität gedeiht jedoch nicht unter der Alleinherrschaft von Besitz und Eigentum. Kunst zu besitzen ist eine Kunst. Kultur hat man. Oder hat man nicht.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.