Der deutsche Norman Mailer

Vor 100 Jahren wurde der Schriftsteller und Bestsellerautor Willi Heinrich geboren

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der nordamerikanische Schriftsteller Norman Mailer erlangte mit seinem Kriegsroman »Die Nackten und die Toten«, der seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll schildert, in den 50er Jahren Bekanntheit. Die Aufarbeitung des Krieges wurde international von einigen Schriftstellern in unterschiedlicher Qualität und Nachwirkung aufgegriffen. In Deutschland sorgte in Anlehnung an Mailer vor allem Willi Heinrich mit seinem 1955 erschienenen Roman »Das geduldige Fleisch« für Aufsehen. Er wurde ein weltweiter Erfolg und unter dem Titel »Steiner - Das eiserne Kreuz« in den USA mit James Coburn, Maximilian Schell und Senta Berger verfilmt. Weitere Prosa aus der Feder Heinrichs folgte.

Vor 100 Jahren, am 9. August 1920, in Heidelberg als Sohn eines Kaufmanns geboren, der nicht das Einkommen hatte, um den Jungen aufs Gymnasium zu schicken, konnte Will Heinrich nach dem Abschluss der Volksschule in Karlsruhe nur die Handelsschule besuchen. Anschließend war er als Angestellter in einer Lebensmittel-Großhandlung tätig. 1938 zum NS-Reichsarbeitsdienst und und im Folgejahr in die Wehrmacht einberufen, erlebte der Infanterist in einer Jägerdivision die Gräuel des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges an der Ostfront hautnah. Nach Kriegsende und kurzzeitiger Kriegsgefangenschaft nach Karlsruhe heimgekehrt, war er zunächst kommissarischer Leiter eines Lebensmittelgeschäfts und daraufhin kaufmännischer Angestellter in einem Lotterieunternehmen.

Die Kriegserlebnisse ließen ihn nicht los. Die Lektüre Mailers »Die Nackten und die Toten« bewogen ihn, die eigenen Erlebnisse niederzuschreiben - nebenbei nach Feierabend, naturalistisch, schonungslos offen, ohne jegliches verklärendes Pathos. Sein erster Roman katapultierte ihn in die Schlagzeilen und Bestsellerlisten und machte ihn finanziell unabhängig. Fortan wirkte Heinrich als freischaffender Schriftsteller.

Alle anderthalb Jahre erschien von ihm ein neues Buch. Er schrieb mit Disziplin und mit der Pünktlichkeit und Akribie eines Beamten. Sein Tagesablauf war exakt kalkuliert. Nach dem Frühstück ging er mit seinem Hund zwei Stunden spazieren, nach dem Mittagessen schrieb er bis zum Abendbrot, danach meist weiter bis Mitternacht.

Zu seinen Themen gehörten die Auseinandersetzung mit der Wehrmachtshierarchie, Neonazismus in der jungen Bundesrepublik, ebenso Machtmissbrauch und Rassismus bis hin zu Fragen der Sexualität im Alter. Er sprach Tabus an, erschloss immer wieder sprichwörtliche »heiße Eisen« und provozierte bewusst die biedere Gesellschaft. Das ließ ihn bis in die 80er Jahre hinein auf einer Erfolgswelle surfen. Die Öffentlichkeit scheute er jedoch eher, es gab bei ihm keine Starallüren. Im Gegenteil: Heinrich lebte zurückgezogen. Im Alter schrumpfte die Nachfrage nach seinen Werken, was ihn in finanzielle Probleme brachte. Seine Penthousewohnung wurde versteigert. Er mietete sich schließlich in ein Seniorenheim in Dobel im Nordschwarzwald ein.

Willi Heinrich hat über 30 Bücher verfasst, die zu Lebzeiten eine Gesamtauflage von rund 40 Millionen Exemplaren erreichten. Allein »Das geduldige Fleisch« wurde in über 20 Sprachen übersetzt. Mit dieser Genugtuung starb der Autor am 12. Juli 2005 im Seniorenheim, das sich in 700 Metern Höhe schon im 18. Jahrhundert zum Erholungsort entwickelt hatte, später Größen wie den Dichter Johann Peter Hebel anzog und heute als »Heilklimatischer Kurort« im Landkreis Calw Besucher anzieht.

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