Kinderbeobachtung und Ohrabdruck

Bosbach-Kommission stellte ihre Ideen zu mehr Sicherheit in NRW vor, Laschet zeigt sich angetan

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Für Coronazeiten ein relativ »großer Bahnhof«: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) war ebenso anwesend wie sein Stellvertreter Joachim Stamp (FDP) sowie Vertreter der Bosbach-Kommission. Die Kommission, deren eigentlicher Name »Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen« lautete, stand unter der Leitung des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach und stellte am Donnerstag in Düsseldorf ihren Abschlussbericht mit Vorschlägen für eine Reform der Sicherheitsarchitektur Nordrhein-Westfalens vor. Die Experten, die in den vergangenen mehr als zwei Jahren sämtlich ehrenamtlich tätig waren, sind Bosbach auf dessen Linie in weiten Teilen gefolgt, wie man den rund 150 Vorschlägen entnehmen kann. Bosbach ist weithin als konservativer Vertreter der CDU und Befürworter einer harten Hand bekannt, wenn es um staatliche Befugnisse in der Sicherheitspolitik geht. So schlagen die Experten eine Stärkung des Verfassungsschutzes sowie eine bessere Zusammenarbeit seiner Bundes- und Landesbehörden, die Optimierung der Öffentlichkeitsfahndung, die Vermessung der Funkzellen und die Schaffung einer Datenbank für Ohrabdrücke vor.

Die Vorschläge scheinen noch die gemäßigte Variante der in den zwei Jahren diskutierten Ideen für einen wirkungsvolleren Durchgriff des Staates zu sein. Denn wie zu erfahren war, erörterten die Mitglieder der Kommission etwa auch den Einsatz von Elektroschockwaffen. Wie diese hätte auch eine umfassende Reform der Polizeiorganisation deren Schlagkraft erhöht, wie Bosbach formulierte. Weniger, aber größere und spezialisiertere Polizeieinheiten waren sein Ziel. Die Kommission habe sich darauf aber nicht verständigen können.

Staatliche Schlagkraft scheint in den Augen Bosbachs ein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Sicherheit eines Landes zu sein. Ganz im Gegensatz zu Teilen der Gesellschaft, die den Verfassungsschutz auch mit Blick auf dessen Rolle bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus im Allgemeinen und des NSU im Besonderen längst nicht mehr als vertrauenswürdig einstufen, will die Bosbach-Kommission ihn stärken. Zur Bekämpfung von Spionage und bei der Beobachtung von Vereinen oder Parteien sei eine Bündelung der Verfassungsschutzaufgaben durch den Bund sinnvoll, heißt es in dem Abschlussbericht. Doch erneut spielt in den Gedanken der Experten vor allem die Gefahr durch Ausländer die offenbar entscheidende Rolle. Sie schlagen vor, dass bei Salafismusverdacht auch unter 14-Jährige beobachtet werden sollten.

Mehr Austausch will die Kommission zudem. Kleinere Verfassungsschutzämter der Länder seien auf Unterstützung größerer wie des Landesamtes in NRW angewiesen. Die Bosbach-Kommission spricht sich überdies für die Einrichtung einer zentralen Spurendatenbank aus. Neben Fingerabdrücken und DNA-Spuren könnten an Tatorten häufig auch Abdrücke von Schuhsohlen und Ohren gesichert werden - letztere entstehen, wenn Einbrecher vor der Tat an der Tür horchen und dabei das Ohr anlegen. »Auch diese Spuren sind jedenfalls zeitweise dem individuellen Abgleich zugänglich«, heißt es im Kommissionsbericht. In NRW existierten jedoch - wenn überhaupt - nur örtliche Sammlungen dieser Spuren. Es müsse eine zentrale Datei zum Beispiel beim Landeskriminalamt geschaffen werden. Am besten wären nach Ansicht der Kommission automatisierte Datenbanken zum Spurenabgleich, bis hin zur europäischen Ebene.

Der Bericht der Kommission werde »noch in dieser Wahlperiode seine Wirkung zeigen«, kündigte Armin Laschet an. Der Aspirant auf den Posten des CDU-Vorsitzes und damit die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl stellt sich bereits eine bundesweite Auswertung der Ergebnisse vor.

Die Linke Nordrhein-Westfalens lehnte die »ausufernden Überwachungsfantasien« hingegen ab. »So sind wir gegen die Empfehlungen zur Funkzellenauswertung und zur Erfassung von Kennzeichen im öffentlichen Straßenverkehr«, teilte Landessprecher Christian Leye mit. Auch einer Beobachtung von unter 14-Jährigen durch den Verfassungsschutz widerspricht der Landesvorsitzende entschieden. Allerdings, so empfiehlt Leye, täte die Landesregierung gut daran, auch jene Teile des Kommissionsberichtes zu lesen, die reale Missstände in NRW auflisten. Dies betreffe vor allem den Opferschutz und den Umgang mit Geflüchteten sowie Suchtkranken, für die es die richtigen Schlüsse zu ziehen gelte. »Wir fordern bereits lange, dass die systematische Stigmatisierung der Gebraucher*innen von legalen und illegalisierten Drogen endlich aufhören muss«, so Leye. Auch die Grünen begrüßten den Abschnitt zum Opferschutz im Kommissionsbericht. Verena Schäffer, innenpolitische Sprecher im Landtag, stellte zugleich klar, dass die Ausweitung von Befugnissen für die Sicherheitsbehörden immer an deren Verhältnismäßigkeit gebunden sei. »So sind Kinder kein Fall für den Verfassungsschutz, sondern fallen in die Zuständigkeit der Jugendämter.« Die SPD beklagte vor allem die Hinterzimmermentalität, die sie im Vorgehen der Landesregierung erkennt. Der Bericht sei ohne jede Parlamentsdebatte zustande gekommen. Bisher gebe es keinen Hinweis darauf, dass der Landtag damit befasst werden solle, schimpfte Sven Wolf, Vizefraktionschef. Das müsse nun aber schnell geschehen. Mit Agenturen Kommentar Seite 8

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