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Taktieren auf Kosten der Ärmsten

Bundeskabinett konnte Hartz-IV-Armutssätze nicht beschließen, weil Horst Seehofer eine Extrawurst für die eigene Klientel braten will

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwoch wollte die Bundesregierung über die Höhe der neuen Hartz-IV-Sätze beraten, die ab dem kommenden Jahr ausgezahlt werden sollen. Dazu kam es vorerst nicht. Das Bundesarbeitsministerium hat einen Entwurf vorgelegt - die allzu knickrige Erhöhung, die darin vorgesehen ist, hat allerdings bereits die Empörung von Sozialverbänden hervorgerufen. Von 432 auf 439 Euro würde demnach der Satz für alleinstehende Erwachsene ab dem 1. Januar 2021 steigen - das seien gerade mal 23 Cent pro Tag, kritisierte der Paritätische Wohlfahrtsverband. »Armut bekämpfen wir damit ganz sicher nicht«, so auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Dass die Regierung den Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch nicht wie vorgesehen behandelte, lag aber nicht an der Einsicht der Koalitionäre, dass die vorgesehenen Mittel das Ansehen ihrer Regierung beschädigen könnte.

Die Verschiebung des Tagesordnungspunktes geht vielmehr auf die Kappe des Ministers für Inneres, Bau, Sport und Heimat. Horst Seehofer von der CSU hatte nämlich seine Zustimmung zu dem umstrittenen Hartz-IV-Paket daran geknüpft, dass die Koalition gleichzeitig einen Renten-Härtefallfonds für Spätaussiedler beschließt. Was das miteinander zu tun hat, ist die eine Frage, über die sich dem Vernehmen nach das Arbeitsministerium befremdet zeigte. Die andere Frage lautet, was Seehofer so wichtig an diesem Härtefallfonds sein könnte, dass er damit die kargen Brosamen für Grundsicherungsempfänger in Frage stellt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht darin den Versuch, »eine Besserstellung des eigenen konservativen Wählerklientels zu erpressen«, wie DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel gegenüber der Nachrichtenagentur AFP in Berlin erklärte. Es sei »unanständig, wie Herr Seehofer sämtliche Hartz-IV-Empfänger in Geiselhaft zu nehmen, um damit Verbesserungen bei den Renten von Spätaussiedlern durchzusetzen«. Seehofer wisse sehr genau, wie wichtig eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze gerade in der Corona-Krise sei, um das Existenzminimum für Langzeitarbeitslose und aufstockende Niedrigverdiener zu sichern, sagte Piel. »Auf dem Rücken dieser Menschen Kuhhandel zu betreiben, und zusätzlich Verunsicherung zu schaffen, ist unredlich.«

Die Hartz-IV-Regelsätze werden alle fünf Jahre neu ermittelt. Die Sozialverbände kritisieren nicht nur die allenfalls minimale Erhöhung, die nicht zum Leben reicht, sondern auch die Methodik der Ermittlung des Bedarfs. Willkürlich werden dabei angeblich nicht notwendige Bedarfsgüter herausgerechnet. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Verbands: »Was wir bei der Berechnung der Regelsätze erleben, ist keine Statistik, sondern ihr Missbrauch«. Auch die Grünen kritisieren das Verfahren und haben in einem eigenen Entwurf einen Bedarf von 603 Euro statt der bisherigen 432 Euro ermittelt. Hinzu kommen jeweils die Wohnkosten. Überdies verlangen sie einen Coronaaufschlag.

Mit seinem Entwurf betreibe Arbeitsminister Hubertus Heil Verarmungspolitik, kritisierte Parteichefin Katja Kipping. Wie auch die Sozialverbände moniert Kipping, der SPD-Minister setze die unsägliche Tradition seiner Amtsvorgänger fort und rechne die Regelsätze klein. Die für die Berechnung ausgewählte Referenzgruppe sei so arm, »dass ihr Ausgabeverhalten von Einschränkungen und Schulden geprägt ist. So entsteht ein Zirkelschluss der Verarmung.« Nur jeder Vierte in der Referenzgruppe ist erwerbstätig. Damit sei diese nicht repräsentativ, so Kipping. Denn der Anteil von Aufstockern, Rentnern mit Grundsicherung oder Behinderten, die in Werkstätten arbeiten und auf Hartz IV angewiesen sind, ist viel höher.

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