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Image-Label oder Etikettenschwindel?

Nachhaltigkeitspreis geht an die Städte Kiel, Buxtehude und Eltville am Rhein

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Jury der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis hat sich in dem jährlich stattfindenden Wettbewerb diesmal für Kiel als nachhaltigste Großstadt entschieden. In der Endausscheidung hat Die Hauptstadt des nördlichsten Bundeslandes hat dabei München und Stuttgart ausgestochen.

Die Auszeichnung, die in der zweiten Oktoberhälfte in der Siegerstadt Kiel verliehen werden soll, ist mit einem Preisgeld in Höhe von 30 000 Euro verbunden. Für Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) ist das Preisgeld sicher von untergeordneter Bedeutung im Vergleich zur Strahlkraft des Titels. Denn den man sich künftig zur Aufpolierung des Images auf die Fahnen und seine Visitenkarten schreiben. Und so verwundert es nicht, dass nunmehr der Nachhaltigkeitspreis die Homepage der Stadt als Spitzenmeldung schmückt.

In der Bewertung spielen auch die Themen Integration, Bildung und Digitalisierung eine gewichtige Rolle. Doch Kiel hat laut Begründung der Jury die Nachhaltigkeitskrone an erster Stelle wegen seiner ökologischen Kompetenz verliehen bekommen. Gelobt wird demnach der Bau eines in Kraft-Wärme-Kopplung betriebenen hochmodernen Heizkraftwerkes und die Errichtung einer Landstromanlage auf Basis 100-prozentigen Ökostroms. Doch was eitel Freude bei den Strategen der Kieler Stadtentwicklung und im Amt für Wirtschaftsförderung auslöst, ist für andere nur ein der Stadt willkommenes Greenwashing einer keinesfalls sehenswerten Ökobilanz.

Nach Konstanz und Ludwigslust hatte die Kieler Ratsversammlung im Mai 2019 als dritte deutsche Stadt überhaupt kommunalpolitisch den Klimanotstand ausgerufen. Die Bewegung Fridays For Future (FFF) befürchtet in ihrer Stellungnahme zur Entscheidung über den Nachhaltigkeitspreis, dass sich die Stadt Kiel nun auf den neuen Etikett-Lorbeeren ausruhen könnte, statt den ökologischen Umbau energischer voran zu treiben. FFF-Sprecherin Nelly Waldeck betonte: »Wir erwarten von der Stadt konkrete Zielsetzungen. Uns reicht ein schwammiges ›klimaneutral vor 2050‹ nicht aus. Wir brauchen ein Bekenntnis zur Neutralität bis 2035.«

Besonders Kiels Agenda Verkehrspolitik ist eine lange To do-Liste. Man rühmt sich für seine Offensive in Sachen Fahrradmobilität, belegte im zuletzt erhobenen Fahrradstädte-Index aber nur Platz 19 noch hinter Flensburg (Rang 14) und Lübeck (15). Die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte werden auf einem Teilstück der durch Kiel führenden B 76 seit langem überschritten, so dass die Deutsche Umwelthilfe vor dem Schleswiger Oberverwaltungsgericht erst im Juni einen Klageerfolg erzielte. Nachdem eine Schrebergartensiedlung bereits einem geplanten Möbelhaus geopfert wurde, wofür immer noch auf den Baubeginn gewartet wird, droht nun ein weiterer Kleingärten-Kahlschlag – diesmal für den geplanten Neubau einer sogenannten Südspange-Umgehung als Anbindung zur A 21. Im Zusammenhang mit genau dieser Planungsmaßnahme schreibt ein Gegner bei Twitter im Kontext mit dem Nachhaltigkeitspreis: »Wie tief muss hier die Latte hängen, wenn eine Stadt, die neue Schnellstraßen durch ihren Grüngürtel begrüßt, mit solch einer Auszeichnung beehrt wird?«

Schließlich weist Fridays for Future auch auf den Widerspruch beim Kreuzfahrttourismus hin: Bei allen Bemühungen der Stadt in Sachen Landstrom laufe hier noch etwas gewaltig schief, solange eine gesetzliche Verpflichtung der Reedereien zur Nutzung fehle.

Bei den mittleren Städten gewann die niedersächsische Stadt Buxtehude den Preis, zuerkannt, bei den Kleinstädten und Gemeinden belegte das hessische Eltville am Rhein den ersten Platz.

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