• Berlin
  • »Anonyme Anwohnende«

Auf der Jagd nach Airbnb

Die »Hostbusters« machen mit einer Kunstaktion auf Verdrängung aufmerksam

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Zuerst hört man nur die Musik. Der bekannte Soundtrack zum Film Ghostbusters hallt durch die Weserstraße in Neukölln. Kurz darauf tauchen drei Gestalten in schwarzen Overalls und mit außerirdisch anmutenden Helmen auf. Ausgerüstet mit schwarzen Schläuchen, sind sie gekommen, um Airbnb-Anbietern den Garaus zu machen - ganz so, wie es seinerzeit die Geisterjäger mit feindseligen Ungeheuern taten. Die »Hostbusters« sind am Mittwochnachmittag in den Reuterkiez gekommen, um die Anwohner*innen vor Verdrängung und überteuerten Mieten zu schützen.

»Achtung Achtung! In Ihrer unmittelbaren Umgebung befinden sich ein oder mehrere Superhosts. Bitte bewahren Sie Ruhe und achten Sie auf weitere Ankündigungen«, tönt es aus dem Lautsprecher, den eine der Airbnb-Jägerinnen zusammen mit einem »Syndikat lebt!«-Schild auf das Fahrrad montiert hat. »Der gemeine Superhost präsentiert sich gern weltoffen und kosmopolitisch. Er verkauft sich, dich und Berlin von seiner besten Seite«, sagt eine verzerrte Stimme in Dauerschleife, während die »Hostbusters« ihre Runden drehen.

Lange müssen sie nicht warten, um ihre Beute zu erspähen, kurze Zeit später postieren sich mehrere Frauen mit Perrücke und schicken Kostümen am Straßenrand und preisen auf Englisch und Deutsch in typischem Airbnb-Sprech, wild durcheinender rufend, ihre Ferienwohnung an. Doch die »Hostbusters« sind ihnen schon auf der Spur. »Der gemeine Superhost ist ein Meister der Verdrängung. Er verdrängt nicht nur die gewachsene Kiezkultur, sondern auch die eigene Verantwortung am Ausverkauf Berlins«, ruft die Stimme - und die Jäger stürzen sich mit ihren Schläuchen auf die ausgemachten Feinde bezahlbaren Wohnraums.

Die Kunstaktion des Performance-Kollektivs »Anonyme Anwohnende« beruht auf einer Recherche über die Praktiken und Preise von Airbnb-Anbietern in der Hauptstadt. Den Anstoß dafür hatte eine Schnitzeljagd auf überteuerte Ferienappartments in Kreuzberg gegeben, mit denen die Aktivistinnen die Anbieter*innen zu Ostern aus der Anonymität des Internets geholt hatten (»nd« berichtete). Nach persönlichen Bedrohungen durch die Hosts, Unterlassungsaufforderungen durch Anwälte, die die Aktivistinnen für entstandene Einbußen haftbar machen wollten, entstand die Idee für die neuerliche Intervention. »Uns wurde vorgeworfen, eine Hetzjagd zu machen. Also dachten wir, wir greifen das künstlerisch auf«, sagt eine der anonymen Anwohnerinnen zu »nd«.

Das Ergebnis ihrer Recherche haben sie auf kleine Zettel geschrieben, die sie an die Häuserfassaden kleben. »2-Zi.-Whg nur 6440 Euro/Monat« steht dort, oder auch »1-Zi.-Whg 3922 Euro/Monat«. Ein Mann steht vor dem Angebot einer Vier-Zimmer-Wohnung für 8289 Euro. »Das ist viel zu viel, das kann sich keiner leisten, wir auch nicht«, erklärt er seinen beiden Töchtern. Und noch etwas haben die »Hostbusters« herausgefunden: Jetzt in der Coronakrise haben sich auch die Geschäftspraktiken der Vermieter*innen geändert. Dass viele kleine Geschäftstreibende pleite gehen, werde schamlos ausgenutzt. »Es werden massenweise Gewerberäume aufgekauft und zu Airbnb-Wohnungen umgewandelt«, erzählt eine Aktivistin. »Sie geben sogar unverblümt an, dass in den Wohnungen vorher eine Tanzschule oder eine Kiezkneipe war, und machen damit Werbung.«

Die »Anonymen Anwohnenden« wollen nicht nur Kunst machen, sie haben auch konkrete politische Forderungen: »Ferienwohnungen sollten in Wohnungen umgewandelt werden«, zählen sie auf. Der Umwandlung von Gewerberäumen in Ferienwohnungen gehöre dagegen ein Riegel vorgeschoben. »Den Mietendeckel muss es auch für Gewerbe geben und Milieuschutz muss konsequent durchgesetzt werden.« Solange die Politik die rechtlichen Schlupflöcher nicht schließt und Verstöße nicht konsequent ahndet, wollen sie weitermachen mit ihren künstlerischen Interventionen gegen die Zerstörung der Kiezstrukturen - nicht nur in Neukölln. »Man muss die Hostbusters nur rufen, dann kommen sie auch zu euch.«

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