Brandenburg: Lebensrettung nur gegen Rechnung?

Weiter Streit um die Finan­zierung der Rettungs­dienste

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Müssen sich Patienten künftig zweimal überlegen, ob sie einen Rettungswagen rufen?
Müssen sich Patienten künftig zweimal überlegen, ob sie einen Rettungswagen rufen?

»Wer den Notruf wählt, muss sich darauf verlassen können, dass der Rettungsdienst da ist – ohne Unsicherheit, ohne Verzögerungen und ohne Rechnungsangst.« Das sagt die Brandenburger SPD-Abgeordnete Julia Sahi am Donnerstagabend im Landtag.

Seit mittlerweile einem Jahr streitet eine Reihe von Landkreisen und kreisfreien Städten mit den Krankenkassen um die Finanzierung der Rettungsdienste. Die Krankenkassen bezahlen aus Sicht der Kommunen nicht mehr kostendeckend.

Zwischenzeitlich verschickte der Landkreis Märkisch-Oderland sogar Gebührenbescheide an die Patienten, um die Fehlbeträge einzutreiben. Wem ein Rettungssanitäter geholfen hatte, der sollte etwa 200 Euro berappen. Kam ein Notarzt, waren es sogar rund 250 Euro. Aktuell geschieht dergleichen nach Angaben der Abgeordneten Sahi nicht mehr, und die bereits versandten Rechnungen seien rückabgewickelt.

Es gehe insgesamt um mehr als 100 Millionen Euro, erläutert der Arzt und Abgeordnete Michael Schierack (CDU). »Die Finanzierung der Rettungsdienste ist nach wie vor ungeklärt«, bedauert er. Bürger könnten wieder belastet werden. Die sei inakzeptabel. Die Landesregierung sollte in dem Streit vermitteln und den Kommunen bis zu einer Lösung des Problems mit einer Zwischenfinanzierung helfen, schlägt Schierack vor.

Doch die Koalitionsfraktionen SPD und BSW weisen dieses Ansinnen mit ihrer Mehrheit im Parlament zurück. Sie überweisen den Antrag der CDU nicht einmal zur Beratung in den Gesundheitsausschuss des Landtags, sondern lehnen ihn gleich rundweg ab.

Es könnten Rechnungen über mehrere Hundert Euro in den Briefkasten flattern, warnt die Landtagsabgeordnete Daniela von Oeynhausen (AfD). »Bisher haben die Kreise den Verlust geschluckt. Die Frage ist: Wie lange noch?« Die nordrhein-westfälische Stadt Essen habe angedroht, pro Rettungsdiensteinsatz 270 Euro zu verlangen.

»Ein Sozialstaat, der im Notfall nicht zuverlässig trägt, ist kein Sozialstaat.«

Andreas Kutsche BSW-Landagsabgeordneter

Dass es nicht hinnehmbar sei, wenn die Patienten in die eigene Tasche greifen müssten, darüber besteht Einigkeit. »Ein Sozialstaat, der im Notfall nicht zuverlässig trägt, ist kein Sozialstaat«, sagt der Abgeordnete Andreas Kutsche (BSW). Für die Aufrüstung der Bundeswehr stehen unbürokratisch Milliarden bereit, da müsse auch Geld da sein, den Rettungsdienst zu finanzieren, findet er.

Nach Ansicht von Kutsche leistet sich die Bundesrepublik zu viele verschiedene gesetzliche Krankenkassen und zusätzlich ein System der privaten Krankenversicherung. Die Verwaltungskosten seien zu hoch. Als Folge dessen sei eine »Zwei-Klassen-Medizin« entstanden. Es dürfe doch nicht sein, dass jemand bei einem akuten Herzinfarkt überlegen muss, ob er es sich leisten kann, den Notruf zu wählen.

Die Koalitionsfraktionen versichern, dass Gesundheitsministerin Britta Müller (BSW) und ihr Ressort bereits beharrlich an der Sache dran seien. Erst letzte Woche habe es einen Termin gegeben, und 2026 sollen die Gespräche fortgesetzt werden.

Es gebe Landkreise, die sich mit den Krankenkassen geeinigt haben, berichtet Ministerin Müller. Die Stadt Cottbus sei sich mit der Gegenseite inzwischen zu 98 Prozent einig. Man stehe dort kurz vor einer Vereinbarung. Für Dahme-Spreewald sei eine Friedenspflicht bis zum 20. Januar verlängert worden. Mindestens so lange müssten die Patienten in diesem Landkreis nichts befürchten.

»Es geschieht ja was«, gesteht CDU-Politiker Schierack zu. Es dürfe seiner Meinung nach aber nicht sein, dass es erst Bewegung gibt, wenn sich der Landtag kümmert. Der Antrag der CDU-Fraktion, wenn er auch abgelehnt wurde, habe doch etwas genutzt, indem er eine Lösung anmahnte, so scheint es Schierack. Sonst stünde die Einigung in Cottbus vielleicht nicht in Aussicht.

Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Gebührensatzung des Landkreises Teltow-Fläming steht noch aus. Der Landkreis hat zugesichert, bis dahin zur Deckung der Kosten die Patient*innen nicht zur Kasse zu bitten.

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