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Drehscheibe für Atommüll

Breiter Protest gegen ein geplantes zentrales Zwischenlager in Würgassen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

»So etwas hat es noch nie gegeben«, sagt Dirk Wilhelm. Der Sprecher der Bürgerinitiative »Atomfreies Dreieckland« ist Gast bei einer Pressekonferenz der Grünen im niedersächsischen Landtag. Im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, berichtet Wilhelm, hat sich ein ungewöhnlich breites Protestbündnis formiert. Es will verhindern, dass auf dem Gelände des stillgelegten und weitgehend abgerissenen Atomkraftwerks Würgassen ein riesiges Lager für radioaktive Abfälle errichtet wird.

Nach den Plänen der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) soll das Lager vorübergehend nahezu allen in Deutschland anfallenden schwach und mittelradioaktiven Atommüll aufnehmen. Die Kosten für die rund 325 Meter lange, 125 Meter breite und 16 Meter hohe Halle aus Stahlbeton beziffert das Unternehmen auf 450 Millionen Euro, rund 100 dauerhafte Arbeitsplätze könnten entstehen.

In dem sogenannten Logistikzentrum sollen ab dem Jahr 2027 die Behälter mit radioaktiven Abfällen aus den dezentralen deutschen Zwischenlagern gesammelt und für den späteren Transport ins Endlager Konrad zusammengestellt werden. Schacht Konrad, ein ehemaliges Eisenerzbergwerk in Salzgitter, wird zurzeit zum Bundesendlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll ausgebaut. Es soll ebenfalls ab 2027 betriebsbereit und bis zu 303 000 Kubikmeter strahlenden Müll aufnehmen. Die Abfälle stammen vor allem aus dem Betrieb und Rückbau von Atomkraftwerken, zum kleineren Teil auch aus Forschung und Medizin.

Kreisparlamente, Gemeinderäte und Bürgermeister aus allen drei Bundesländern haben scharf formulierte Resolutionen gegen das Vorhaben verfasst oder unterschrieben. An einem Auto- und Treckerkorso über die neue Weserbrücke zwischen dem niedersächsischen Lauenförde und Beverungen in Nordrhein-Westfalen beteiligten sich Mitte Juli rund 150 mit Anti-Atom-Bannern geschmückte Fahrzeuge. In der Nacht zum 22. Juli projizierten die örtliche Bürgerinitiative und die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt Statements auf die Außenwand des früheren Reaktorgebäudes: »Kein Atommüll-Verschiebe-Bahnhof in Würgassen!«, war da zu lesen. Und: »Konzeptlos, orientierungslos, intransparent: Atommülllager stoppen!« Die große Projektion war bis in mehrere umliegende Orte zu erkennen. In zahlreichen Vorgärten und an Zäunen der Region hängt als Zeichen des Widerstandes ein großes gelbes »W«.

Die Grünen in Niedersachsen haben jetzt einen Entschließungsantrag gegen das Atomlager in den Landtag eingebracht. »Würgassen als Drehscheibe für Atommüll aus der ganzen Bundesrepublik wurde politisch, nicht fachlich fundiert ausgewählt«, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Miriam Staudte. Hier sei ein Standort benannt worden, der gleich zwei der vom Bund selbst gesteckten Mindestanforderungen nicht erfülle: »Die geplante Fläche liegt in einem Hochwasserrisikogebiet, und die Bahnstrecke für die An- und Abtransporte ist lediglich eingleisig.« Das gesamte Verfahren müsse »neu aufgerollt werden«, verlangt die Grünen-Politikerin. »Zuallererst muss nachgewiesen werden, ob das Lager überhaupt nötig ist und ob direkt von den bestehenden Zwischenlagern angeliefert werden kann.« Mit dem geplanten Umschlagsplatz verdoppele sich die Zahl der Atomtransporte bis zur Endlagerung, das widerspreche dem Minimierungsgebot des Strahlenschutzes.

Staudtes Parteikollege, der Landtagsabgeordnete Christian Meyer, erinnert daran, dass das Weserbergland auf naturnahen Tourismus setze. Ein Atommülllager sei damit nicht vereinbar. Unter den Kritikern ist auch Niedersachsens ehemaliger Innenminister Uwe Schünemann (CDU) aus Holzminden, das nicht weit entfernt von Würgassen ist. In Briefen an die Bundesregierung beschwerte er sich kürzlich über die »völlig unverständliche« Herangehensweise an das Projekt, das schon aufgrund der »äußerst mangelhaften Verkehrsanbindungen« ungeeignet sei.

Nach außen unbeeindruckt vom Protest, hält die BGZ an dem Vorhaben fest. Um das geplante Genehmigungsverfahren weiter vorzubereiten, hat sie jetzt die Bezirksregierung Detmold gebeten zu prüfen, wie sich das Logistikzentrum mit dem bestehenden Regionalplan vereinbaren lässt. Baubeginn werde im Jahr 2023 ein.

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