Bombastische Betriebsblindheit

Das neue Album von The Killers ist wie geschaffen für die bornierte Musikkritik von »Pitchfork«

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die US-amerikanische Website »Pitchfork« gilt seit gut zwei Dekaden als erste Anlaufstelle für Musikkritik. Was auf »Pitchfork« gehypet wird schreiben »New Musical Express«, »Rolling Stone«, »Musikexpress«, »Visions« etc. ab - die »Spex« gibt es ja nicht mehr. Jahreslisten der besten Alben findet man auf »Pitchfork«, wo sehr wissende Menschen retrospektiv halluzinieren.

Gestus der Pitchfork’schen Texte ist der sogenannte popintellektuelle Stil ála Diedrich Diederichsen: Artverwandte Bands und Künstler werden kundig aufgezählt, deratig codiert darf der Leser mutmaßen, wie es klingt und was es im Bewusstsein alles Vergangenen eines sehr ausdifferenzierten Mikrokosmos’ zu bedeuten hat. Wenn man alle Bands und Künstler kennt, die der Autor meint, kann man abnicken und beeindruckt sein, wie wenig Mehrwert derartig harmlose, selbstdekorative Mutmaßungsorgien eigentlich produzieren.

Symptomatisch für »Pitchfork« ist die konsequente Betriebsblindheit, die sich im Angesicht der Künstlergeste ausbreitet. Musiker sind dort Heilige, deren Schaffen niemals mit so unschönen Vokabeln wie »Business«, »Geld« und »Ego« in Verbindung gebracht werden darf. Produktionsverhältnisse sind Schäume, riechen unfein, vertreiben die Fans. »Pitchfork«-Autoren sind Mäuse, man muss sie suchen, sie sind so klitzeklein wie ihre Meinungen, die sich aus geschmäcklerischer Referenzialität und fetischisiertem Enzyklopädismus speisen. Als freier Journalist verdient man wenig, Bewerbungsunterlagen für Wettbewerbsjurys, Vorträge an Universitäten, Buchvorschüsse oder Gratisurlaub auf dem nächsten teuren Musikfestival müssen ins Netz. »Pitchfork« ist der funkelnde Diamant im Curriculum Vitae.

Ein gutes Beispiel für diese Verfahrensweise ist die Rezension des neuen Albums von The Killers aus Las Vegas, geschrieben von Alfred Soto. Am Ende seines Textes findet der Autor die Gruppe »immer noch herrlich absurd«; viel mehr Schlüsse vermag er aus der bombastischen Vermischung von Kitsch, Indie-Rock und gelebtem Mormonentum, die The Killers hier servieren, nicht zu ziehen. Dabei ist »Imploding The Mirage« sehr weit davon entfernt, eine rätselhafte Platte zu sein, vielmehr ist sie wohl kalkuliert, redundant und inhaltlich dümmlich. Auf ihrem sechsten Studioalbum haben die Herren aus Las Vegas abseits ihrer ureigenen Pathosformel nichts mehr zu sagen außer »Mein Gott/Schau, wer zurück im Geschäft ist/Dieses Gewicht, das du umherschlepptest /Es wurde zum Licht« (»aus dem Song My God«).

Elegische Streichersynthesizer legen sich abwechselnd über grübelnde Strophen und ekstatische Refrains, in denen Sänger Brandon Flowers immer und immer wieder im schmerzhaftesten Register seines dünnen Stimmchens singt. Seine Lieder handeln von Blitz und Donner, Liebe und Unsicherheit, Gott und Vertrauen und können von jeder frommen Radiostation gespielt werden.

Fans wollen bekannte Elemente wiedererkennen, große Bands haben ihre wiederkehrenden Gimmicks, Akkordfolgen, Themen erarbeitet. Bemerkenswert im Falle der Killers ist, dass sie zu Anfang der Nullerjahre noch pubertäre Unsicherheiten und durchaus »queere« Themen ansprachen. Ihr selbsternannter »glamouröser Indie-Rock’n’Roll« war etwas für Jugendliche, die sich noch vorstellen konnten auch einmal mit dem eigenen Geschlecht zu kopulieren.

2020 aber hängt der Regenbogen überall. Sänger Brandon Flowers, der einmal eine überaus witzige Kurzdiskussion mit Richard Dawkins verlor, ist immer noch Mormone, der »Wirbelwind dieser Tage« (wie es im Song »My Own Soul’s Warning« heißt) setzt ihm bestimmt zu. Rettung aber naht: Selbst Kulturikonen wie Kanye West protzen seit einiger Zeit mit gelebter Religiösität, evangelikale Strömungen haben regen Zulauf von jungen, zahlungskräftigen Menschen und die »Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage« meldet Rekordzahlen.

The Killers haben, dem Zeitgeist folgend, ihre bisher reaktionärste und langweiligste Platte gemacht, über deren altbackene musikalische Zitate von Bruce Springsteen bis zu den Pet Shop Boys nur philosophieren will, wer sich profilieren will. Auch bei »Pitchfork«, wo man sich professionell mit den Kaufanreizen der Unterhaltungsindustrie zu beschäftigen hat, sollte man wissen: Das Kunstgewerbe kommt ohne Kunden nicht aus.

The Killers: »Imploding The Mirage« (Island/Universal)

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