Von Arkadien bis Atlantropa

»Utopie Landwirtschaft. Träume und Albträume« zeigt eine Wanderausstellung in Bayern

  • Beatrix Dargel
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz Digitalisierung und künstlicher Intelligenz - die Landwirtschaft ist heute und auch auf absehbare Zukunft unsere unverzichtbare Lebensgrundlage. Gleichwohl sind Veränderungen und Erneuerungen schon seit Generationen auch auf dem Lande Teil des Lebens. Die in manchen Städterträumen vorherrschende Gleichsetzung von Landleben und »Guter alter Zeit« ist ein Trugbild.

Mit Veränderungen gehen immer auch Hoffnungen und Utopien einher. Solchen sowie landwirtschaftlichen Erfolgs- und Irrwegen der vergangenen 200 Jahre widmet sich eine derzeit im Oberfränkisches Bauernhofmuseum Kleinlosnitz zu sehende Wanderausstellung in neun Themenbereichen: von Arkadien, dem Leben im Paradies, über Technikträume, reichhaltige Pflanzen- und Tierwelt bis hin zur Landwirtschaft 4.0 und alternativen Visionen für den ländlichen Raum. Ergänzt wird die sehenswerte, von sechs bayerischen Museen gemeinsam gestaltete Exposition durch Arbeiten des Ingolstädter Künstlers Thomas Neumaier mit Verfremdungen alltäglicher Gegenstände und »nicht realisierten Erfindungen in der Landwirtschaft«. Gedankliche Spiele mit Möglichem.

Vorangegangenere Generationen sind viel unbekümmerter an die »Einbürgerung« von exotischer Flora und Fauna herangegangen. Die Hoffnung auf größere Ernteerträge oder den Ersatz unerschwinglicher Importwaren war der Impuls für viele gewagte Experimente. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert versuchte man sich beispielsweise auch in Deutschland am Seidenbau. Die Seidenraupenzucht scheiterte jedoch an den klimatischen Bedingungen. Auch die deutschen Angorakaninchen zur Wollegewinnung blieben Utopie. Der Wunsch nach »großem Geld für kleine Leute« erfüllte sich wieder einmal nicht. Anders als beim Zuckerhut, unverzichtbare Zutat zur Feuerzangenbowle. Bis in die Neuzeit wurde hierzulande zum Süßen fast ausschließlich Honig verwendet. Zucker aus Zuckerrohr gab es erst mit der Eroberung der »Neuen Welt«. Die zunächst importierten weißen Kristalle waren Luxus. Mit der Züchtung von Rüben mit höherem Zuckergehalt wurden sie zu einer Alltäglichkeit. Zu den ehemals exotischen Pflanzen zählen ebenso Raps, Kartoffeln und Mais. Die Kartoffel war fast 300 Jahre nur Zierpflanze. Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Nachtschattengewächs aus Südamerika vom Kuriosum im Garten von Pflanzensammlern zur Nahrungsgrundlage von Millionen Mitteleuropäern.

Ein Sinnbild für die moderne Landwirtschaft sind große, schwere Traktoren mit immer mehr Leistung. Nur: Überall gibt es Grenzen, auch auf dem Acker. In der Forschungsabteilung eines Landmaschinenherstellers aus Marktoberndorf wird an kleinerer Landtechnik gearbeitet. Roboter statt Traktoren oder Drohnen zur bodenkontaktlosen Feldarbeit sind schon heute keine Utopie mehr. So bei der Maisaussaat, die bereits per Computer erfolgt. Am Feldrand steht ein Container, die Logistikeinheit. Kleine Roboter schwärmen aus und erledigen für den Menschen beschwerliche Feldarbeit - präzise gesteuert über GPS. Wenn neues Saatgut oder eine Aufladung nötig wird, geht es zurück zur Logistikeinheit. Das Funktionsprinzip ist ähnlich dem Rasenmähroboter, der manch Stadtgarten auf Golfplatzniveau trimmt. Die Anwendung auf dem Feld ist ungleich komplexer. Die Idee ist, wie die meisten guten Ideen, einfach, hält aber noch genügend Herausforderung für die gescheiten Ingenieure in Marktoberndorf bereit.

Dagegen hatten andere Projekte gigantische Maßstäbe. Der Münchner Architekt und Geopolitiker Hermann Sörgel (1885 - 1952) entwickelte seit Ende 1927 das Atlantropa-Projekt, bekannt auch unter dem Namen »Panropa«: die Schaffung eines neuen Kontinents, den Bau von Bewässerungsanlagen in der Sahara, ökologische Stromerzeugung für Europa, Schaffung von Arbeitsplätzen und Bekämpfung tropischer Krankheiten. 1928 erfolgte die Gründung eines speziellen Atlantropa-Instituts in München. Bis in die 1960er Jahre wurde hier an der Verwirklichung von Sörgels Utopie gearbeitet. Über die wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt liest man in den erhaltenen Plänen nur wenig.

Die Bewirtschaftung von Gärten und Kleingärten kann man als »kleine Landwirtschaft« ansehen. Mit »Urban Gardening«, winzigen Grünplätzen inmitten menschengemachter, zementierter Pflanzenfeindlichkeit, werden in Metropolen kleine Refugien nicht nur für den Menschen, sondern auch für Insekten geschaffen. Die Refugien dienen oft auch der Selbstversorgung und verbessern das Miteinander der Stadtbewohner. Ob sie auch die Keimzelle für eine erneuerte Gesellschaft sein könnten, von der manche Gartenutopisten träumen? Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

»Utopie Landwirtschaft.«, bis 15.11., im Oberfränkischen Bauernhofmuseum Kleinlosnitz, Kleinlosnitz 5, Zell im Fichtelgebirge. Eintritt 3 €, ermäßigt 2 € (Katalog 19,50 €). Weitere Informationen unter: www.kleinlosnitz.de.

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