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Verliererin ist die Lebensqualität
Meine Sicht: Nicolas Šustr über die Schlappe für Pop-up-Radwege vor Gericht
Der größte Feind der Verkehrswende ist nach wie vor die Straßenverkehrsordnung. Denn jegliche Einschränkung für den motorisierten Individualverkehr, also Autos, muss so begründet werden können, dass juristisch kein Weg daran vorbeiführt. Seien es Temporeduzierungen oder der Wegfall von Autospuren, selbst wenn dort nur geparkt wird. Durch den Kunstgriff, parkende Fahrzeuge als »ruhenden Verkehr« zu bezeichnen, gehören diese eben auch zum motorisierten Verkehr, der juristisch unglaublich privilegiert ist.
Angesichts dieser deutschen rechtlichen Zustände auf den Straßen kann man zwar neidisch auf Paris, Brüssel oder sogar das österreichische Graz blicken, wo ganze Innenstädte gefühlt von einem Tag auf den anderen für die stinkenden und gefährlichen Blechkisten tabu sind. Tatsächlich hätte die Senatsverkehrsverwaltung für jede einzelne Straße, auf der temporäre Corona-Radwege aufgeploppt sind, wahrscheinlich noch mit ausführlichen Studien belegen müssen, dass sich die Situation vor allem in puncto Sicherheit verbessert.
Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) kann für das Fiasko tatsächlich nur bedingt haftbar gemacht werden. Trotzdem ist das Urteil gegen Pop-up-Radwege eine Riesen-Niederlage für sie und die Grünen. Denn die temporären Radspuren, die bekanntlich zu dauerhaften gemacht werden sollten, waren wie ein Befreiungsschlag für die im Getriebe zwischen amtlichem Unwillen, Unfähigkeit, Personalmangel, Zuständigkeitswirrwarr und Konfliktscheue steckengebliebene Verkehrswende in der Hauptstadt. Verlierer sind nicht nur die Radfahrer, sondern auch die Fußgänger, die nun endlich Bürgersteige ganz für sich hatten. Und letztlich treibt jeder Meter Straße, der Autos zur Verfügung steht, den Klimawandel voran.
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