Der Eselkopf verspottet die Welt

Die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main präsentiert die erste Einzelausstellung eines iranischen Künstlerkollektivs in Deutschland

  • Olivia Lehmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das iranische Künstlerkollektiv Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian sieht dem Eröffnungsauftakt seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland von zu Hause aus zu - wie all diejenigen, die sich zu diesem Anlass unter normalen Umständen schon Ende Mai im Saal der Frankfurter Schirn-Kunsthalle eingefunden hätten. Für das Ausstellungshaus ist es die erste Live-Eröffnung ohne Publikum. Laut Schirn-Direktor Philipp Demandt werde es allen Schwierigkeiten zum Trotz auch in den kommenden Jahren mit vielen Präsenz-Ausstellungen weitergehen.

Die Künstler selbst bezeichnen die Pandemie in ihrem Online-Grußwort als eine Panne der Zeit, die die Landschaft des Lebens und folglich auch die Ausstellungslandschaft beeinflusst habe. Doch in ihrem Künstlerhaus in Dubai verbinden sie Leben und Arbeit nicht erst seit dem Lockdown, sondern nun schon fast ein Jahrzehnt. Dort arbeitete das Künstlertrio auch an einem »Environment« (einer alternativen Landschaft), das momentan in der Frankfurter Kunsthalle zu sehen ist und zum Teil ältere Arbeiten des Trios in das umfangreiche Gesamtwerk integriert. Ein Schritt in die Halle wirft die Besucher*innen in ein Wimmelbild im 3-D-Format; sie stehen bereits auf dem Herzstück der Ausstellung, einer eigens für die Schirn angefertigten Bodenmalerei. Wenngleich das weitflächige Werk »O You People!« als Basis der Landschaft fungiert, soll es keinerlei Halt bieten - ein überfordernder Strudel an wabernden Oberflächen, Strukturen und Referenzen zieht die Betrachtenden direkt ins Geschehen hinein und verunmöglicht ein distanziertes Überblicken des Kunstwerks und seiner Bestandteile. Hier gibt es keinen linearen Pfad, der die Abfolge des Schauens diktiert. In dem assoziativen Vorgehen der Arbeit sieht Martina Weinhart, die Kuratorin der Ausstellung, deren große Stärke. Auflösen soll sich das Narrativ dadurch aber nicht, betont sie. »Es gibt natürlich gewisse Linien oder Themenfelder in dem Werk, denen man folgen kann. Das sind zum Beispiel der Hintergrund der Kindheit der Künstler während des Iran-Irak-Krieges, die eigene Geschichte der Migration oder eine gewisse Gendersensibilität, die in ihrem Werk auftaucht.«

Wer hinter die bunte Fassade dieser Ausstellung blicken will, muss viel Zeit mitbringen. Videoarbeiten, Fotografien, Collagen, Skulpturen, raumgreifende Installationen, laut Weinhart also »fast alles, was es in der Kunst gibt«, bilden zusammen einen »komplexen Kosmos«, Momentaufnahmen eines turbulenten Zeitgeschehens. Die Betrachtenden sehen sich konfrontiert mit Szenen aus Gegenwart und Vergangenheit: die Bewegung Black Lives Matter, die regierungskritischen Proteste im Libanon, die Eroberung von Bagdad 2003. Inmitten kunstgeschichtlicher Zitate werden aber auch Banalitäten unserer Zeit präsentiert, Touristen essen umschlossen von persischer Ornamentik ihr Eis. Teilweise versandet die Aussage derartiger Spielereien leider selbst im Banalen, wenn etwa begleitet von einem allzu überstrapazierten Magritte-Zitat kopflose Wesen mit menschlichen Händen auf Smartphones herumtippen.

Der Erwartung des europäischen Museumsbesuchers, von Künstlern aus dem Exil Geschichten von Fremdbestimmtheit, Angst und Repression erzählt zu bekommen, kommt die Ausstellung nicht nach. Aus seiner Kindheit erzählt das Trio, dass im Schutz unterirdischer Zufluchtsorte oftmals sogar eine gewisse Freude die Angst vor Raketen und Bomben verdeckte. Die Auseinandersetzung mit Schmerz und Trauer ist dennoch Teil des poppigen Werks. Dicht gedrängte Menschen, deren Gesichter von Tierköpfen ersetzt werden, klammern sich fest an einem bootartigen Finger, der nicht für alle in Richtung eines neuen Zuhauses zeigt. So wird die Welt nicht nur verspottet, sondern auch angeklagt, zum Beispiel von dem schreienden Eselkopf, den man beim Betreten des Bodens erst einmal übersehen mag. Das häufig in der Ausstellung anzutreffende Tier bringt Forderungen in all das Chaos. »What If We Build Our Own Country, Drinking the Donkey’s Milk, Rather Than the Wolf’s« (Was, wenn wir unser eigenes Land gründen, lieber die Eselmilch trinken als die des Wolfs) lautet der Titel der beiden Stoffskulpturen, die in Zusammenarbeit mit der ägyptischen Künstlerin Hoda Tawakol entstanden sind. Den gewaltvollen Entwicklungen der Gegenwart setzt sie die Geborgenheit entgegen, die die zeltartigen Bäuche der fülligen Eselsskulpturen bieten. Laut der Künstlerin bieten sie »vielleicht auch den richtigen Platz, um Brüche zu verstärken«. Genau wie in dem gesamten »Environment« zeigen sich in ihrem Beitrag Brüche mit dem Bestehenden auch in Bezug auf das Thema Geschlecht. Unter dem Bauch des männlichen Eselkörpers, dessen baumelnde Auswüchse gleichermaßen an phallische Symbole wie an Brüste oder Euter erinnern, findet ein auf Krücken tanzender Esel seinen Platz. Die weibliche Skulptur beherbergt eine 2020 entstandene Videoarbeit des Künstlertrios - ihr Titel: »Dance After the Revolution« (Tanz nach der Revolution).

»Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian«, bis 13. Dezember, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, Frankfurt am Main.

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