Neue Regierung, alte Männer

Japans neuer Premierminister Yoshihide Suga ernennt viele Minister seines Vorgängers Abe

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Land, in dem die Alterung der Bevölkerung weltweit schon am weitesten fortgeschritten ist, hat jetzt eine passende Regierung. Auf diesen vorschnellen Schluss könnte man kommen, wenn man das neue Kabinett der japanischen Regierung ansieht. Am Mittwoch präsentierte der Konservative Yoshihide Suga, der gerade vom Parlament zum neuen Premierminister gewählt worden war, seine neuen Minister. Neben den 20 Namen blieb vor allem deren demografisches Profil hängen: Es ist sehr überwiegend männlich und mit großer Mehrheit alt.

Bei 60,4 Jahren liegt das Durchschnittsalter der japanischen Minister. Nach den Regulierungen zum Rentenantrittsalter im ostasiatischen Land, das seit 2013 schrittweise von 60 auf 65 angehoben wird, steht der mittlere Toppolitiker damit theoretisch direkt vor seinem Ruhestand. Der regierungstreue öffentliche Rundfunksender NHK beschrieb es so: »Politische Veteranen auf Schlüsselpositionen im neuen Kabinett.«

Im ostasiatischen Land ist das ein typisches Phänomen. Das Prinzip der Seniorität, dass Dienstjahre und Erfahrung maßgeblich über Einfluss und Karriere entscheiden, ist in der gesamten Geschäftswelt stark ausgeprägt. So bestimmen sich auch die Gehälter von Angestellten vor allem in Abhängigkeit der Jahre, die jemand schon im Betrieb verbracht hat. Kritiker bemängeln, dass dadurch vor allem Konformität gefördert wird. Mutige Entscheidungen stehen kaum an erster Stelle.

In der Politik scheint diese Logik der vorsichtigen Loyalität besonders zu greifen. Der neugewählte Regierungschef Yoshihide Suga ist 71 Jahre alt, hat vorher acht Jahre lang dem nun 65-jährigen Shinzo Abe als Kabinettssekretär gedient, ehe dieser vor kurzem aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Sugas Vizepremier Taro Aso ist schon 79 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt des Kabinetts wird deutlich heruntergezogen durch den 39-jährigen Shinjiro Koizumi. Der wurde von Sugas Amtsvorgänger Abe im vergangenen Jahr vor allem deshalb zum Umweltminister befördert, weil er der Sohn des einstigen Premierministers Junichiro Koizumi ist.

Koizumi junior gilt als potenzieller zukünftiger Premier und soll der regierenden Liberaldemokratischen Partei ein jugendliches und dynamisches Antlitz verpassen. Dabei geben gerade in der konservativen Partei, die seit Kriegsende fast immer am Ruder gewesen ist, die Älteren die Richtung vor. Der neue Premierminister Suga, der nach Abes Rücktritt selbst erst Mitte September zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hat nun ein fünfköpfiges, rein männliches, Führungsgremium ausgewählt, dessen Durchschnittsalter 71,4 Jahre beträgt.

Ähnlich wie junge Menschen sind auch Frauen in der japanischen Politik kaum sichtbar. Im Kabinett befinden sich mit Justizministerin Yoko Kamikawa und der Olympiaministerin Seiko Hashimoto nur zwei Frauen. Auch dies passt zum generellen Bild. Bei internationalen Vergleichen zur Geschlechtergleichheit schneidet Japan regelmäßig schlecht ab. Der World Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums, der Benachteiligungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung vergleicht, zeigt für Japan, dass Frauen zwar ähnlich gut ausgebildet sind wie Männer. Sie werden aber beruflich weniger gefördert.

Um dieses Problem anzupacken, hat der vorige Premierminister Abe schon im Jahr 2013 die Vision vorgegeben, Japan wolle ein Land werden, »in dem alle Frauen strahlen.« Bis auf eine gesteigerte Erwerbsbeteiligung von Frauen wurde aber nicht viel erreicht. Stattdessen ist Japan in Vergleichen wie dem World Gender Gap Report weiter nach hinten durchgereicht worden. Von Platz 101 im Jahr 2012 ist Japan dort auf Platz 121 von 153 Ländern im Jahr 2019 abgefallen.

Auch wegen dieser mangelhaften Repräsentativität hat sich über die letzten Jahre der Eindruck verhärtet, die Politik sei nicht für die Menschen da und es mache keinen Unterschied, wen man wähle. Die Wahlbeteiligung ist seit Ende der 1990er Jahre von 60 auf zuletzt 53 Prozent gefallen. Vor allem junge Personen bleiben Wahlen häufig fern. Dabei stand die nun neu angetretene Regierung nicht zur allgemeinen Wahl. Aufgrund des gesundheitsbedingten Rücktritts von Abe fand die Abstimmung über die neuen Posten nur innerhalb der Regierungspartei statt. Bei den nächsten Wahlen, die im Herbst 2021 anstehen, wird es dann dieses sehr männliche und betagte Kabinett sein, das um seine Wiederwahl wirbt.

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