Stilles Leiden im Südpazifik

Ozeaniens Inselstaaten haben kaum Corona-Infizierte, die Pandemie reißt dennoch tiefe wirtschaftliche Wunden

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 7 Min.

Für die meisten Europäer liegen die Südpazifikstaaten nicht nur geografisch weit entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite des Globus. Sondern auch gefühlt. Selten genug dringen Nachrichten aus jener Weltregion in unsere Breiten. Das Leben dort - und im Krisenfall das Leiden - mutet so entfernt an wie auf der ISS oder einer künftigen Mondkolonie. Tatsächlich ist es die räumliche Abgeschiedenheit, die Isolation in den Weiten des riesigen Pazifik, die diese Inselreiche, teils mit Einwohnerzahlen mittelgroßer deutscher Provinzstädte, in der Pandemie bisher vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Präsent ist Corona gleichwohl.

Zu den Todesfällen in diesem Zusammenhang zählt neuerdings Joseph Williams, ehemaliger Premierminister der Cook-Inseln. Er gilt als eines der Opfer, die dem aktuellen Covid-19-Ausbruch in Auckland zugeschrieben werden: Nachdem Neuseeland zwischenzeitlich schon einmal als coronafrei galt (zumindest was lokale Infektionen betrifft), steht die größte Metropole des Landes seit Wochen wieder unter verschärften Quarantänebestimmungen. Williams war 82, als er starb. Ob nun an oder nur mit Corona, ist eine semantische Gratwanderung - Fakt ist, dass er sich angesteckt hatte und in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste, als es ihm immer schlechter ging. Dabei war der Mann, der 1999 nach mehreren Ministerämtern zum Regierungschef der locker mit Neuseeland assoziierten Cook-Inseln wurde, selbst Mediziner, lebte zuletzt als Arzt in seiner Wahlheimat Auckland. Zuvor hatte er nach seiner politischen Karriere noch in verschiedenen Positionen für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gearbeitet. »Rest well on your final voyage Papa Joe«, twitterte die Pasifika Medical Association in Neuseeland, deren Patron er war (Deutsch: »Ruh dich aus auf deiner letzten Reise, Papa Joe«).

Den siebten Coronatoten meldete dieser Tage Papua-Neuguinea, wo sich die Gesamtzahl der Infizierten auf 517 beläuft, davon gut 300 in der Hauptstadtregion. Insgesamt sind zwölf der 22 Provinzen betroffen. Für das vergleichsweise große Land, unmittelbarer Nachbar Indonesiens, ist das immer noch wenig - glücklicherweise, denn medizinische Einrichtungen sind im Innern des Vielvölkerstaates ebenso Mangelware wie Infrastruktur insgesamt.

Bis heute gibt es Gegenden, in denen indigene Gemeinschaften in ihrer ganz eigenen Welt leben. Abseits oder zumindest am Rande dessen, was nach europäischem Verständnis als »moderne Zivilisation« gilt. Ein ungebremstes Vordringen des Virus dort wäre doppelt verheerend: nicht nur, weil ärztliche Hilfe bei schweren Verläufen kaum zügig zur Stelle wäre. Sondern auch, weil kleine Volksgruppen in ihrem Fortbestand als eigenständige Kulturen bedroht sein könnten, wie als gefährliches Szenario gerade eine halbe Globusdistanz entfernt der Tod vieler Häuptlinge, Schamanen und Stammesältester bei indianischen Völkern im Amazonasgebiet Brasiliens zeigt.

Davon ist Papua-Neuguinea zum Glück derzeit weit entfernt. Und wie andernorts tun die Behörden ihr Möglichstes, jeden lokalen Ausbruch frühzeitig zu erkennen und einzudämmen. Das gelang auch zu Monatsbeginn, als sich gleich mehrere Bergarbeiter der Ok-Tedi-Mine infiziert hatten. Das staatliche Team der von David Manning geleiteten Corona-Sonderbehörde, das in der am zweitstärksten betroffenen Westprovinz weitere Untersuchungen vornahm, wird durch Experten der WHO verstärkt. Aus Fidschi (bisher 32 bekannte Infektionen) wiederum wurde zuletzt ein neuer Fall gemeldet - quasi ungefährlich für die lokale Bevölkerung, da sich die betroffene Person wie andere zuvor in Flughafenisolation befindet. Lokal habe es inzwischen hingegen schon seit 138 Tagen keine Neuansteckungen gegeben, wurde vor wenigen Tagen bei einer Gesprächsrunde mit Gesundheitsstaatssekretär James Fong betont. Fidschi habe eines der strengsten Isolationssysteme der Welt, betonte dieser, strenger selbst als Australien und Neuseeland.

Da sind die Infiziertenzahlen in Französisch-Polynesien schon eine ganz andere Hausnummer. In dem semi-autonomen Überseegebiet hat ein aktueller Ausbruch seit 11. August die zuvor sehr flache Kurve rapide ansteigen lassen. Allein seit Ende August hat sich die Gesamtzahl von 500 Infizierten auf nun 1271 in kurzer Zeit mehr als verdoppelt - eine alarmierende Entwicklung. Ansteckungen gibt es nicht nur in den urbanen Gebieten Tahitis, sondern auch auf Bora-Bora oder Raiatea, wie Radio New Zealand vermeldete. In der ersten Coronawelle zwischen März und Juni hatte Französisch-Polynesien nur 62 nachgewiesene Ansteckungen gezählt. Dass es nun in kurzer Zeit die zehnfache Zahl ist, liegt vor allem daran, dass man sich ab Mitte Juli wieder den Touristen geöffnet hatte. Zuletzt waren auf Tahiti sogar Schulen geschlossen, die nun am 1. September wieder den Betrieb aufnahmen. Einen neuen Lockdown haben sowohl die lokale Regierung als auch die Beauftragten der Zentrale in Paris vorerst ausgeschlossen. Anders sieht es im ebenfalls französischen Neukaledonien aus, wo es bisher nur 26 Fälle Infektionsfälle gibt. Drei Neuansteckungen zuletzt zu Monatsbeginn waren Ausnahmen, denn die Grenzen sind weitgehend dicht, die Zahl eingehender Flüge absolut minimiert. Was nach gegenwärtigem Stand bis wenigstens 27. März kommenden Jahres so bleiben soll.

Tatsächlich haben sich etliche der kleinen Inselstaaten vorsorglich weitgehend abgeschottet, was aber zwei Probleme mit sich bringt. Zum einen ist damit der Tourismus zum Erliegen gekommen, der teilweise das Rückgrat der lokalen Wirtschaft darstellt. Zum anderen zeigen sich hier und da mit verringerter Fluganbindung und damit verbundenem Importrückgang gewisse Versorgungslücken.

Auch für Arbeitsmigration und familiäre Kontakte haben die Ausfälle Folgen. Schließlich arbeiten und leben viele Pazifikinsulaner mangels ausreichender Jobs in ihren Heimatländern im vergleichsweise wohlhabenden Neuseeland, wo sie zumeist die unattraktiven, schlecht bezahlten Stellen besetzen. Wer noch dort ist, sitzt jetzt schlimmstenfalls ohne Aussicht auf baldige Rückkehr zu den Verwandten daheim fest, andere wiederum kommen nicht los in Richtung Neuseeland.

Auch Samoa hat gerade aufgrund des Ausbruchs in Auckland den kompletten internationalen Flugverkehr vorläufig eingestellt. Das sei eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, begründete Premierminister Tuila'epa Sa'ilele Malielegaoi, dessen Regierung nun noch stärker auf die strikte Einhaltung örtlicher Schutzbestimmungen setzt - beispielsweise die Begrenzung von Menschenansammlungen auf maximal 100 Personen, zum Beispiel bei Gottesdiensten. Verantwortlichen wie den Pfarrern drohen bei Regelübertretungen Strafen von 7500 US-Dollar - ein kleines Vermögen.

Die meisten Staaten der Region setzen auf maximalen Schutz, auch wenn es wirtschaftlich schwere Einschnitte bedeutet: »Unsere Grenzkontrollen sind unsere erste Verteidigungslinie, und sie haben sich als effektiv erwiesen«, sagte dieser Tage Mark Brown, Vizepremier der Cook-Inseln. Dabei leiden gerade diese besonders unter den seit März leerstehenden Hotels: Der Tourismus macht in ihrem Fall sogar 87 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Zum Vergleich: Im »Mutterland« Neuseeland sind es lediglich sechs Prozent.

Die Nöte sind auch auf Fidschi, einem der größeren Staaten des Südpazifik, enorm. Bereits Mitte Juli schlug dort eine Nichtregierungsorganisation Alarm: Rund die Hälfte der familiären Haupternährer seien inzwischen arbeitslos, hieß es in einem über das neuseeländische Nachrichtenportal Stuff.co.nz verbreiteten Erklärung der Foundation for Rural Integrated Enterprises and Development. Die Organisation versucht, mit Nahrungsgüterhilfen und teilweise Umschulungsangeboten die schlimmste Not zu lindern.

In Fidschi, wo allein die nationale Fluggesellschaft 800 Beschäftigte entlassen hat, rüstet sich die Regierung bereits dafür, bei einem Abklingen der Pandemie als Tourismusdestination besser dazustehen als Konkurrenten wie Bali in Indonesien oder Phuket in Thailand - mit reduzierten Hotelpreisen und voraussichtlich sogar einem Willkommensbonus für die ersten 150 000 Ankommenden.

Als eher kurioses Detail am Rande der aktuellen Lage hat das Land gut betuchten »Coronaflüchtlingen« angeboten, die Krise auf ihren Yachten in seinem Inselparadies auszusitzen. Mit 100 Schiffen rechne man, hieß es aus Suva. Temporäres Exil mit Luxusfaktor, während viele Einheimische kaum wissen, wie sie die nächsten Wochen und Monate überstehen sollen. Corona zeigt nicht zuletzt ganz nebenbei, wie fragwürdig es ist, sich gesamtwirtschaftlich so stark allein an den Bereich Tourismus zu binden.

Die Pandemie befeuert unterschwellig zudem einen bestehenden Konflikt: Schon länger ringen Australien, das als übermächtiger Nachbar die Region traditionell als seinen Hinterhof betrachtet, und China um Einfluss im Südpazifik. In den zurückliegenden Monaten hat Canberra hier in der Wahrnehmung weiteren Boden verloren - die Australier haben genug mit den eigenen Problemen zu kämpfen, derzeit einer zweiten Welle im Bundesstaat Victoria, sodass solche außenpolitischen Aspekte zuletzt etwas in den Hintergrund getreten sind. Zwar hatte man frühzeitig zum Beispiel Papua-Neuguinea zwei Maschinen für ein Coronatestzentrum gespendet, und auch andere Länder profitierten von kleineren Maßnahmen. China allerdings engagiert sich massiv mit Hilfen: Das Spektrum reicht von Ausrüstungslieferungen wie Schutzmasken und Test-Kits bis hin zu direkter finanzieller Unterstützung - so für die Salomonen. Die Regierung in Honiara darf sich über besondere Aufmerksamkeit seitens der asiatischen Großmacht freuen. Schließlich hatten die Salomonen, die zuvor Beziehungen zu Taiwan unterhielten, vor einem Jahr einen diplomatischen Schwenk vollzogen und sich mit Peking verbündet.

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