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  • Steigende Preise für Agrarflächen

Teurer Acker

Die Preise für Kauf und Pacht landwirtschaftlicher Flächen steigen rapide - mit Folgen nicht zuletzt für Existenzgründer

  • Hendrik Lasch, Halle
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Schwarzwurzeln auf dem Hof von René Thielicke wachsen da, wo vor 100 Jahren Braunkohle gefördert wurde. Eine Straße in der Nähe heißt »Am Tagebau«; der Hof »Biophilja«, den René und Sabine Thielicke am Rand von Halle bewirtschaften, liegt an der »Straße der Bergarbeiter«. Als die Grube verfüllt war, übten auf dem Areal Soldaten. Jetzt ist es Acker- und Grünland. Noch kein Gutes: Die Wiesen sind mager; der Bodenwert der Felder liegt bei 30 und nicht, wie in der Magdeburger Börde, bei 100. Aber immerhin: Es sind quasi neu entstandene Agrarflächen.

Der übliche Weg ist umgekehrt: Agrarflächen verschwinden; unter Straßen, Fabriken, Siedlungen. In Sachsen-Anhalt sank die agrarisch genutzte Fläche seit 2015 um rund 12 000 Hektar. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Äckern immens - weltweit. 1970 musste die globale Landwirtschaft 3,7 Milliarden Menschen ernähren, heute fast acht Milliarden. Zudem sind Feldfrüchte wie Getreide zur Energiegewinnung gefragt. Ackerland wird immer wertvoller - und als Kapitalanlage interessant. Fonds, Großkonzerne und private Investoren kaufen Boden in der begründeten Hoffnung, dass ihr Geld so sicherer angelegt ist als in Aktien oder Gold.

Die Konsequenzen spüren Existenzgründer wie Thielicke. Seine Eltern bewirtschaften als Wiedereinrichter einen Bauernhof in der Nähe von Halle. Er selbst aber studierte erst Maschinenbau, bevor er sich entschied, Landwirt zu werden und auf einem eigenen Hof Biogemüse anzubauen. Dazu brauchte er Felder - die er nicht besaß. 2011 schien der Wunsch in Erfüllung zu gehen: Beim Kauf eines Grundstücks erwarb er die Option auf zwei Hektar angrenzendes Ackerland. Vereinbarter Preis: ein Euro je Quadratmeter, also 10 000 Euro je Hektar. Ein Jahr später wollte Thielicke die Option ziehen, aber die Alteigentümer zeigten ihm die kalte Schulter - auch, als er 1,50 Euro bot. Über die Gründe kann er nur spekulieren. Die Preise für Agrarflächen waren bereits zu dem Zeitpunkt im Steigen begriffen, was den Besitzern wohl verführerisch erschien: »Viele spekulierten ja, dass es weiter nach oben geht.« Und so war es auch. Die Erwartung trog nicht. Für das Stadtgebiet von Halle, auf dem Thielickes Hof liegt, veröffentlicht das Agrarministerium zwar keine gesonderten Zahlen. Im angrenzenden Saalekreis kostete ein Hektar Ackerfläche im Jahr 2010 aber durchschnittlich 8500 Euro. Sechs Jahre später waren es 20 000 Euro, heute liegt der Preis bei 24 000 Euro. Je nach Lage und Bodenqualität kann er abweichen. Die teuerste Ackerfläche, die 2019 im Bundesland den Besitzer wechselte, wurde im Salzlandkreis verkauft - für 82 900 Euro je Hektar; mehr als das Achtfache dessen, was Thielicke 2011 zahlen wollte.

Das ist ein gravierendes Problem für alle Landwirte und Agrarbetriebe, die neue Flächen brauchen. Zwar würden Banken problemlos Kredite für den Erwerb von Ackerland geben, sagt Thielicke: »Das ist ja eine sichere Geldanlage.« Viel unsicherer ist, ob sich der Kaufpreis je erwirtschaften lässt.

Für Nutzflächen würden inzwischen Preise verlangt, »die sich für Landwirte in 150 Jahren amortisieren«, sagt Kerstin Eisenreich, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag: »Das ist absurd.« Jessica Haby, Landesgeschäftsführerin der »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« (AbL) in Sachsen-Anhalt, sieht die Bodenpreise als »größten Knackpunkt« für Existenzgründer in der Branche. Auch für etablierte Betriebe seien sie ein Problem - neben weiteren wie den niedrigen Erlösen für Agrarprodukte und Auswirkungen des Klimawandels wie der anhaltenden Trockenheit. Thielicke hat seit Gründung seines Hofes vor drei Jahren ständig mit Dürre zu kämpfen; ohne teure Bewässerung würde sein Gemüse verdorren.

Dass es diesen Hof gibt, ist das Ergebnis zeitaufwendiger Suche, von Abstrichen beim Konzept - und am Ende von Glück und gutem Willen eines Kollegen. Thielicke suchte bundesweit geeignete Flächen, die mit einer Hofstelle verbunden sein und zudem stadtnah liegen sollten. Weil der Bodenmarkt intransparent ist, fuhr er in Dörfer und sprach Eigentümer an: »Eine Börse für Kleinflächen, wie wir sie brauchen, gibt es nicht.« Er prüfte die öffentlich einsehbaren Angebote der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft BVVG, die ehemals staatliche Ackerflächen in Ostdeutschland privatisiert und seit 1992 allein in Sachsen-Anhalt 150 400 Hektar veräußert hat.

Doch auch wenn der Staat laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2015 nicht an das Höchstpreisgebot gebunden ist, ruft die BVVG heute Preise auf, die für Existenzgründer wie Thielicke zu hoch sind. Er verabschiedete sich angesichts dessen von der Hoffnung, Boden kaufen zu können, und suchte Pachtland. Zeitweise hatte er seine Ansprüche bis auf ein Haus mit großem Garten reduziert. Dass es schließlich doch etwas mehr wurde, verdankt er dem Betreiber eines großen Biobetriebes, der ihm Flächen verpachtete: fünf Hektar Ackerland, 15 Hektar Grünland. Der Vertrag läuft über 20 Jahre. »17 davon haben wir noch vor uns«, sagt Thielicke. Und hofft auf Verlängerung.

Die Pacht, die für seine Flächen vereinbart ist, kann Thielicke erwirtschaften - weil die in seinem Betrieb abgebauten Kulturen zwar arbeitsintensiv, aber produktiv und ertragreich sind. Der »Biophilja«-Hof wird nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet: Beetflächen werden für den Anbau unterschiedlichster Gemüsearten - von Kartoffel bis Sojabohne und Kürbis bis Aubergine - optimal genutzt; der Boden wird durch ständiges Mulchen sowie Mist von Hühnern und Ziegen verbessert. Große, teure Maschinen gibt es nicht, dafür 360 Legehennen in mobilen Ställen, die auf den mageren Wiesen stehen. Gemüse und Eier werden in Bioläden und auf Märkten in Halle, in Gemüsekisten oder im Hofladen vertrieben. Damit hat Thielicke Einnahmen, von denen er seine Familie ernähren, drei Mitarbeiter fair bezahlen und auch die Pacht finanzieren kann. Anderen Betrieben fällt das schwerer, zumal steigende Bodenpreise auf die Pachten durchschlagen. Für einen Hektar Ackerland werden in Sachsen-Anhalt heute im Durchschnitt 411 Euro pro Jahr fällig, in der Börde 523 Euro. Viele Betriebe hätten aber schon Probleme, mehr als 350 Euro zu erwirtschaften, sagt Haby. Die AbL-Geschäftsführerin hält diese Entwicklung für grotesk. Traditionell sollten die Äcker die Ernährung der Menschen sicherstellen. Tatsächlich dienten sie mittlerweile eher der Geldanlage; auf dem Bodenmarkt herrsche »blanker, ungezügelter Kapitalismus«. Befeuert wird die Entwicklung, weil spekulative Interessen längst auch Branchenfremde in großem Stil investieren lässt, wie Versicherungen oder Lebensmitteldiscounter. Ein Einfallstor ist der Kauf von Anteilen an Agrarunternehmen. Ein solcher sogenannter Share Deal sorgte unlängst in Thüringen für Aufsehen. Dort verkaufte ausgerechnet der Ex-Chef des Bauernverbandes Anteile an einer Agrarholding an eine Familienstiftung der Aldi-Eigentümer. In Sachsen-Anhalt gab es noch keinen so spektakulären Verkauf. Auch dort aber gingen 2018 und 2019 in Summe 2000 Hektar an »nicht-landwirtschaftliche Investoren«, erklärte das Agrarministerium auf Anfrage der Linken.

Die Politik hat das Problem erkannt, aber bisher keine Lösung gefunden. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern gab bereits im Jahr 2014 als Ziele aus, landwirtschaftliches Eigentum breit zu streuen, Landwirten einen Vorrang beim Flächenerwerb einzuräumen und vor allem den Anstieg der Preise zu begrenzen. Das ist bisher nicht einmal ansatzweise gelungen. In Sachsen-Anhalt nahm sich die Koalition aus CDU, SPD und Grünen 2016 im Koalitionsvertrag vor, ein Gesetz zu erarbeiten, das »insbesondere« eine Preisdämpfung bewirken solle. Im November 2019 räumte der SPD-Politiker Jürgen Barth im Landtag ein, die Materie sei vor allem bei »Share Deals« komplex; man wolle sich den Entwurf nicht »vor Gericht durch die Anwälte großer Firmen zerpflücken« lassen: »Lassen Sie uns noch ein paar Tage Zeit!« Zehn Monate später liegt noch immer kein Gesetz vor. Im Juni 2021 endet die Wahlperiode.

Die Linke hat im Land mehrere Vorstöße gestartet; unter anderem sollte analog zur Mietpreisbremse der Preisanstieg bei Bodenverkäufen gedeckelt werden. Eine Mehrheit fand das nicht. An diesem Mittwoch wird in Erfurt ein Gutachten vorgelegt, das die Fraktionen in Bund und Ländern gemeinsam in Auftrag gaben. Es regt unter anderem an, Grundstücksverkäufen die Genehmigung zu versagen, wenn der Verkaufpreis 30 Prozent über dem Verkehrswert liegt. Eine »marktbeherrschende Stellung« von Eigentümern in Regionen soll verhindert, der Verkauf von Betriebsanteilen gedeckelt und stärker reguliert werden. Dass Handlungsbedarf bestehe, scheine »in der politischen Diskussion nicht streitig zu sein«, so das Papier. Bis das bundesweit Folgen hat, dürften indes viele Ernten vergehen: Entsprechende Gesetze müssten die Länder beschließen. Wie schwierig das ist, zeigt Sachsen-Anhalt seit 2016.

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