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Wenn die Frau den Kochlöffel aus der Hand legt

Vergesellschaftung der Hausarbeit: Wie das Einküchenhaus nach Berlin kam

  • Ulrike Baureithel
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Innenhof der Wilhelmshöher Straße 17-19 in Berlin-Friedenau stehen massenhaft Fahrräder, aber keine Zentralküche versorgt mehr die Hausbewohner, die heute in ihren Kleinküchen werkeln. Verschwunden sind Waschküche, Bügelräume und die zentrale Staubsaugeranlage. Lediglich eine Gedenktafel erinnert daran, dass hier einmal Mitglieder der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« gewohnt haben. Das Sozialexperiment Einküchenhaus, das vor dem Ersten Weltkrieg hier einmal realisiert worden war, wurde erst wieder von der Frauengeschichtsforschung der 1970er Jahre entdeckt.

Mit gutem Grund, denn die vor über hundert Jahren heftig entbrannte Debatte über die Reform der Hausarbeit rief bereits viele Motive auf, die heutzutage unter dem so sperrigen wie falschen Label »Vereinbarkeitsproblem« daherkommen. Schon damals diskutierten die Protagonistinnen der aufkommenden Frauenbewegung über die Befreiung – heute würden wir sagen »Entlastung« – der Frauen von der als rückständig, zeitaufwendig und unproduktiv empfundenen Hausarbeit. Die Befreiung der Frau, schrieb Friedrich Engels der Proletarierin ins Poesiealbum, sei erst möglich, wenn sie sich an der Produktion beteilige und sie »die häusliche Arbeit nur noch in unbedeutendem Maßstab in Anspruch« nehme. Wenn diese instrumentelle Sicht auch eher die Bedürfnisse des Klassenkampfes als die der Frauen im Blick hatte, diente sie doch als theoretische Blaupause für jene politisch aktiven Frauen, die nicht auf den Sankt Nimmerleinstag warten wollten, um der »Enge der vier Pfähle«, wie Clara Zetkin den Haushalt nannte, zu entkommen.

Es war aber nicht Clara Zetkin, sondern die »bürgerliche« Lily Braun, die gegen den Widerstand der sozialistischen Schwestern und angespornt durch die frühsozialistischen Vorbilder Robert Owen und Charles Fourier, die in den USA kooperative Wohnmodelle entwickelt hatten, erste praktische Vorschläge machte. Mit einem Häuserkomplex von 50-60 Wohnungen, mit einer Zentralküche im Erdgeschoss, arbeits- und zeitsparenden elektrischen Maschinen und einer Zentralwaschküche, entwarf sie ihre Vorstellungen in der 1901 entstandenen Schrift »Frauenarbeit und Hauswirtschaft«. Dazu ein großer Speisesaal, der auch für Zusammenkünfte diente, ein Spiel- und ein Lesezimmer und natürlich Zentralheizung und Warmwasserversorgung. Wer nicht im Speisesaal, sondern in seiner Wohnung essen wollte, sollte über einen Speiseaufzug versorgt werden. Das sogenannte Einküchenhaus war ein technisch und politisch ehrgeiziges Projekt, für das sich angesichts der immer schwieriger werdenden »Dienstbotenfrage« auch Teile der bürgerlichen Frauenbewegung erwärmen konnte. 1907 wurde die Berliner »Zentralstelle für Einküchenhäuser« gegründet, die das erste Gemeinschaftshaus in der Berliner Kuno-Fischer-Straße 13 in Charlottenburg realisierte. Ein Jahr später spaltete sich die »Einküchenhaus-Gesellschaft der Berliner Vororte m.b.H« ab, die den »Weg zur neuen Heimkultur«, so der Titel einer Werbebroschüre, ebnen sollte.

Das von dem Architekten Albert Gessner konzipierte Haus in Friedenau war 1909 bezugsfertig. Der große Komplex beherbergte die besagte Zentral- und Waschküche, es gab darüber hinaus aber auch Dachterrassen mit Sport- und Duschräumen und sogar einen eigenen Kindergarten. Es war das, was Braun vorschwebte: »Während der Arbeitszeit der Mütter spielen die Kinder, sei es im Saal, sei es im Garten, wo Turngeräthe und Sandhaufen allen Altersklassen Beschäftigung bieten, unter Aufsicht der Wärterin.« Ein weiterer Architekt der Reformwohnungsbaubewegung, Hermann Muthesius, entwarf das zweite Einküchenhaus an der heutigen Straße Unter den Eichen in Berlin-Lichterfelde, das im Gegensatz zum mittlerweile denkmalgeschützten Komplex in Friedenau später abgerissen wurde.
Doch die Ökonomie hielt mit dem reformerischen Furor nicht Schritt. Schon nach einem Jahr musste die im Gegensatz zum Wiener Einküchenhausprojekt »Heimhof« nicht genossenschaftlich, sondern privatwirtschaftlich organisierte Berliner Gesellschaft Konkurs anmelden. Auch waren die Wohnungen für diejenigen, für die sie ursprünglich gedacht waren, die Arbeiterfrauen, unerschwinglich, wie schon Zetkin moniert hatte. Ideologisch scheiterte die Idee allerdings vor allem am konservativen Kurswechsel der SPD, die das bürgerliche Familienmodell für sich entdeckte und Lily Braun unter Legitimationsdruck brachte: Die Küche zur Grundlage der Familie zu machen, verteidigte sie sich, hieße, den Begriff der Familie zu entweihen. Doch auch sie hinterfragte das von Frauen hergestellte »Heim« als psychosoziales Umfeld der Familie letztlich nicht.

Der Erste Weltkrieg setzte allen diesbezüglichen Experimenten erst einmal ein Ende, nur in Zürich wurde 1916 noch einmal ein Einküchenhaus gebaut. Der Versorgungs- und Wohnungsmangel in der Nachkriegszeit hob das Thema Küche dann erneut auf die Agenda. Zusammen mit der Volkswirtin Claire Richter und der Sozialdemokratin Wally Zepler gründete der Berliner Architekt Robert Adolph 1919 den »Lankwitzer Verein für gemeinnützige Einküchenwirtschaft«, wobei das Einküchenhaus nun unter dem Begriff »Ökonomiat« firmierte. Er verweist auf das, worum es den Protagonist*innen ging, nämlich der »unglaublichen Vergeudung von Kosten, Zeit und Volkskraft«, wie es in Richters Schrift »Das Ökonomiat« heißt, ein Ende zu setzen. Adolph, der die Bauwirtschaft verstaatlicht sehen wollte, warb in der von Clara Zetkin herausgegebenen sozialdemokratischen Frauenzeitschrift »Die Gleichheit« für eine »ergiebige, sparsame Anwendung« der Mittel, die durch die Einküchenbauweise ermöglicht werde.

Die ausgedehnte und lebhafte sozialistische Vergesellschaftungsdebatte nach 1919 wurde in allen einschlägigen Frauenmedien geführt. Einerseits ging es um die Verwaltung des Mangels, aber eben auch um die Freisetzung der Frauen von häuslichen Routinearbeiten: »Es muss ein Weg gefunden werden, der Beruf und Mutterschaft vereinen lässt«, heißt es an einer Stelle. Die Frau sollte aber nicht nur im Beruf »ihren Mann« stehen, sondern auch ihrer weiblichen »Bestimmung« folgen können: »Die Reformation der Gesellschaft«, heißt es in einem anderen Blatt, »ist einzig und allein von der Erziehung im häuslichen Kreis abhängig, die sich der Frau als natürliche Aufgabe stellt.« In einer längeren Aussprache wägen Autorinnen und Leserinnen kritisch das Für und Wider der »Großküche« ab: »Die Hausfrau«, vermutet eine Beiträgerin, »fürchtet vielleicht ein Machtmittel über den Mann zu verlieren, wenn sie den Kochlöffel aus der Hand legt.«

Am Ende verliefen die intensiven rhetorischen Bemühungen um die Großküche im Sande und machten im Zuge der allgemeinen Rationalisierungsbewegung ab Mitte der zwanziger Jahre einer neuen Debatte Platz, in deren Mittelpunkt die verwissenschaftlichte, rationelle Gestaltung des Haushalts stand. Einen Grund für den Abbruch aller Vergesellschaftungsprojekte des Privaten deutet die Sozialdemokratin Henriette Fürth an, wenn sie schreibt, dass sich das Spülen und Kochen ohnehin nebenher mache und »jedenfalls kein Geld dafür aufgewendet« werden müsse. Ökonomisch gesehen war die unbezahlte Hausarbeit nämlich allen Vergesellschaftungsmodellen überlegen. Und auch der von manchen Frauenrechtlerinnen geforderte »Lohn für Hausarbeit« verglühte mit dem Ende der Weimarer Republik am sich verdunkelnden feministischen Horizont.

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