»Das war ein wunderbarer Tag«

Mit Berlinern durch Berlin - nd-Leserreise mit Abstand über die B1 nach Hellersdorf-Marzahn

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 3 Min.
Busfahrer Rade Berger weist die Plätze zu.
Busfahrer Rade Berger weist die Plätze zu.

Irgendwie war es ganz gut, dass der Bus nicht bis zum letzten Platz ausgebucht war, denn es wurden ja noch ein paar Plätze für ganz besondere Reisegäste gebraucht - berühmte Berliner mit Herz und Schnauze: Der Maler Otto Nagel, der Architekt Heino Schmieden, der Gartenarchitekt Albert Brodersen, die legendäre Charlotte von Mahlsdorf und die Entertainerin Claire Waldoff beehrten die Teilnehmer der Tagesfahrt von nd-Leserinnen und -Lesern durch Berlin. Und zwar an einem denkwürdigen Tag - am 1. Oktober, dem 100. Jahrestag der Gründung von Groß-Berlin.

Aufgeschnappt
Ich bin ganz begeistert von der Tour. Dass wir Abstand halten und eine Maske aufsetzen mussten, war zwar nicht schön, aber das geht schon. Ich habe so viel Neues über Marzahn-Hellersdorf erfahren und Ecken gesehen, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich würde es toll finden, solche Touren auch in andere Stadtbezirke zu machen - vor allem von West-Berlin weiß ich viel zu wenig.

Anneliese Klostermann

Das war eine großartige Leserreise. Für mich war es eine der besten, die ich je mitgemacht habe. Mich hat besonders begeistert, mit wie viel Wissen und Herzblut uns Dr. Siegfried Wein, Dr. Heinz Niemann und Sigrid Grajek durch den Tag begleitet haben. So kann es in Zukunft weitergehen, ich bin gern wieder mit von der Partie.
Christel Künzel

Das war wirklich Zufall, denn eigentlich sollte die Tour schon im Juni stattfinden, doch da bremste Corona alles aus. Mit Abstand und unter Einhaltung aller Hygienemaßnahmen war es nun möglich. Jeder der 25 Mitreisenden bekam von Busfahrer Rade Berger seinen festen Platz zugewiesen, und auf die Frage des Reiseleiters Dr. Siegfried Wein, Kunsthistoriker und Berliner aus Leidenschaft, ob er das Mikro vor der Benutzung noch desinfizieren müsse, antwortete Rade nur: »Ist selbstverständlich schon erledigt.«

Na dann konnte es ja losgehen: Mit (zumeist) Berlinern durch Berlin, das »ein Zusammenschluss von vielen Dörfern mit den beiden Städten Spandau und Köpenick« ist, wie Siegfried Wein erklärte.

Auf dem Weg entlang der B1 vom Ostbahnhof über Kreuzberg, den Potsdamer Platz, Leipziger Straße und Karl-Marx- sowie Frankfurter Allee nach Biesdorf erfuhren die Mitreisenden jede Menge Historisches und Gegenwärtiges über ihre Stadt, von dem sie oftmals bislang keine Ahnung hatten.

Erstes Ziel war Schloss Biesdorf, wo ursprünglich im Juni eine Ausstellung mit Werken Otto Nagels zu sehen sein sollte, der bis zu seinem Tode gleich um die Ecke vom Schloss gewohnt hat. Der Maler war es gewissermaßen auch, dem diese besondere nd-Leserreise zu verdanken war. »Ich hatte mich geärgert, dass es zum 125. Geburtstag des Künstlers im September letzten Jahres nicht mal eine Notiz im ›nd‹ gab«, erzählte der Reiseleiter. »Als ich deswegen in der Redaktion anrief, fragte mich der Redakteur ganz ahnungslos: ›Wer ist denn Otto Nagel?‹ Und so entstand die Idee, eine Leserreise dorthin zu machen, wo der Künstler gelebt hat, und sich im Schloss die Ausstellung anzuschauen.«

Wenngleich diese wegen Corona nicht zustande kam, so waren die Mitreisenden - die Nagel natürlich alle kannten - begeistert über das, was sie über die 150-jährige Geschichte des Schlosses und seines Parks sowie über die Gestalter um Heino Schmieden und Albert Brodersen erfuhren. Dr. Heinrich Niemann, langjähriger Stadtrat im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in dem das Schloss liegt, und Vorsitzender des Vereins Freunde des Schlosses Biesdorf, wusste jede Menge zu erzählen - über das Schloss ebenso wie später auf einer Rundfahrt durch den Bezirk, den jüngsten und, wie viele staunten, drittgrünsten von ganz Berlin.

Die Tour endete in Mahlsdorf, im Gründerzeitmuseum, wo Marzahn-Hellersdorf schon fast »ländlich-sittlich« daherkommt. Hier »kletterte« auch Charlotte von Mahlsdorf aus dem Bus, zumindest wehte ihr Geist den Gästen aus jeder Ritze des ehemaligen Gutshauses aus dem 18. Jahrhundert entgegen, das Charlotte - 1928 in Mahlsdorf als Lothar Berfelde geboren - einst gekauft und mit ihrer Sammlung von Gründerzeitmöbeln und mechanischen Musikinstrumenten eingerichtet hatte. Auch die »Mulackritze«, eine legendäre Berliner Kneipe aus den 1920er Jahren, überlebte so bis heute. Charlotte hatte die Einrichtung erworben und ihr im Keller des Gutshauses eine neue Heimat gegeben.

Dort hatte eigentlich Claire Waldoff eine Verabredung mit den Gästen. Doch aus coronabedingten Sicherheitsgründen erzählte sie, »souffliert« von der wunderbaren Sigrid Grajek, im Hof aus ihrem Leben. Die Gäste waren begeistert, das bisschen Kälte lachten sie sich einfach warm, und am Ende waren sich alle einig: »Das war ein wunderbarer Tag. Berlin ist eine Reise wert.«

Beim Claire-Waldoff-Programm blieb kein Auge trocken.
Beim Claire-Waldoff-Programm blieb kein Auge trocken.
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