Ido statt Englisch als erste Fremdsprache

Zehn Ido-Freunde aus Berlin und Potsdam engagieren sich für die Durchsetzung der künstlichen Weltsprache

Die vier Herren, die in dem Berliner Restaurant »Prager Hopfenstube« beieinander sitzen, als die Coronaregeln das zwischenzeitlich gerade einmal wieder erlauben, haben untereinander besprochen, ihr Alter nicht zu verraten. »Wir glauben, es wäre der Sache nicht dienlich«, erklärt Eberhard Scholz. Die vier gehören zu den zehn Personen aus Berlin und Potsdam, die als Freunde der Plansprache Ido zusammengefunden haben. Es würde der falsche Eindruck entstehen, Ido sei nur etwas für alte Männer, denken sie.

Dabei ist einer von ihnen, Thomas Schmidt, ein etwas jüngeres Semester - und bei international besetzten Videochats im Internet sieht und hört er beispielsweise regelmäßig auch eine junge Frau aus Lateinamerika, die seine Leidenschaft für Ido teilt. Außerdem gelang es den Ido-Freunden Berlin in der Vergangenheit durchaus, Schüler für ihr Anliegen zu begeistern. Die Ido-Freunde, die Idoamiki in Berlin und Potsdam sind von Beruf Wissenschaftler, Lehrer, Zuckerfabrikarbeiter, Straßenbahnfahrer oder auch medizinische Fachkraft im Krankenhaus.

»Ni bone povas interkomprenar pro ke ni parolas Ido.« Das bedeutet: »Wir können uns gut verstehen, weil wir Ido sprechen.« Wissenschaftler ersannen diese Plansprache 1907. Sie gilt als Weiterentwicklung des bekannteren Esperanto und soll noch einfacher zu erlernen sein. Jeder Buchstabe wird immer gleich ausgesprochen. Der Wortschatz ist maximal reduziert und die einzelnen Worte ähneln den dafür in möglichst vielen europäischen Sprachen ebenfalls verwendeten Begriffen. Die Grammatik ist einfach gehalten und vermeidet bewusst jegliche Ausnahmen. Man kann diese Grammatik an einem einzigen Nachmittag erlernen und benötigt dafür nicht einmal einen Lehrer.

Man könne sich Ido aus einem Lehrbuch selbst beibringen und unter Umständen bereits nach wenigen Wochen ganz gut verständigen, versichert Eberhard Scholz. Damit ist Ido natürlich gewachsenen Sprachen weit überlegen. Für dieses Konzept begeistert sich Scholz schon lange. Wie die meisten seiner Mitstreiter ist er über den Umweg der Plansprache Esperanto darauf gekommen. So auch Ferdinand Möller. Er las im Jahr 2003 im »nd« einen Bericht über Eberhard Scholz und die Idisten - so nennen sie sich. Da Möller sich früher mit Esperanto befasst hatte, interessierte ihn das. Er suchte Kontakt zur Deutschen Ido-Gesellschaft und landete bei den Idoamiki von Eberhard Scholz und Günter Schlemminger.

Schlemminger versucht Ido mit Übersetzungen populärer zu machen. »Das ist sozusagen mein Lebenswerk«, sagt er. So übersetzte Schlemminger beispielsweise im »nd« erschienene Porträts des Wissenschaftsjournalisten Martin Koch über Erfinder und Entdecker und gab die Texte gesammelt als kleine Broschüre heraus. Ebenso verfuhr der Enthusiast mit drei Novellen der Schriftstellerin Helga Schubert und mit Texten der Publizistin Renate Holland-Moritz.

Die Männer eint die Überzeugung, dass Ido ein Beitrag zur Völkerverständigung und zum Weltfrieden sein könnte. Auch wenn sich mittlerweile Englisch als Weltsprache durchgesetzt hat, geben sie die Hoffnung nicht auf, das in vielerlei Hinsicht besser geeignete Ido könnte an dessen Stelle treten. Wenn Großbritannien nun unbedingt die Europäische Union verlassen will, könnte diese günstige Situation genutzt werden, um Ido in der EU als erste Fremdsprache an allen Schulen einzuführen, so ihr Traum, der schon in einer Generation in Erfüllung gehen könnte. Damit wäre nebenbei auch ein gewisser Sprachimperialismus gebrochen, dass nur die Menschen mit Englisch als Muttersprache es nicht nötig haben, eine Fremdsprache zu beherrschen, um sich weltweit verständigen zu können. Und dann gibt es noch einen sozialen Aspekt: Ido könnten auch diejenigen lernen, die wenig Talent für Sprachen besitzen - und sich so mit Menschen überall auf der Erde unterhalten. »Aber es macht auch sehr viel Spaß«, fügt Thomas Schmidt hinzu, damit es nicht so aussieht, als gehe es bei Ido nur ums Prinzip. Für Schmidt ist Ido ein Hobby. Er ist Politikwissenschaftler und studierte im Nebenfach baltische Sprachen. Auf Ido stieß er im Internet und fing Feuer. Inzwischen verfasst er auf Ido Beiträge fürs Weblexikon Wikipedia. Schmidt ist seit Ende September neuer Präsident der Deutschen Ido-Gesellschaft, Eberhard Scholz gehört dem Vorstand an.

Langweilig soll es mit Ido niemals werden. Immerhin gibt es Autoren, die in dieser Sprache Kriminalromane und Gedichte schreiben. Sie ist also durchaus für Poesie geeignet. Und kulturelle Armut droht auch in anderer Hinsicht keineswegs. Ido soll den Reichtum an verschiedenen natürlichen Sprachen nicht verdrängen. Die Losung lautet: »Jedem Volk seine Sprache und allen eine gemeinsame zweite Sprache.«

Eberhard Scholz weist darauf hin, dass Ido bis in der 1920er Jahre in der links gesinnten deutschen Arbeiterbewegung populär gewesen sei. Er zeigt ein aus dieser Zeit stammendes Lehrbuch speziell für Arbeiter. Die Nazis verboten dann sämtliche Plansprachenbewegungen, zumal die Grundlagen von Esperanto 1887 von dem Juden Ludwik Lejzer Zamenhof publiziert worden sind. Und schließlich sollten die versklavten Völker in den von dem Hitlerfaschismus eroberten Gebieten gefälligst Deutsch lernen, um Befehle zu empfangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es um die Verbreitung von Ido nie wieder so gut bestellt wie vorher. Für die Freunde dieser Plansprache in Berlin und Potsdam ist dies jedoch kein Grund aufzugeben.

www.idolinguo.de

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