Den Aufbruch über die Krise retten

Berliner Linke berät mit Kulturszene über Konzepte zur Sicherung städtischer Räume.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Raumfrage hat Kultursenator Klaus Lederer (Linke) seit seinem ersten Tag im Amt beschäftigt. »Weil sie viel zu lange total vernachlässigt worden ist«, wie er am Donnerstagabend erklärt. Er sagt das beim Initiativengipfel der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Unter dem Titel »Stadtraum solidarisch: Kultur« berät die Linke mit den Kulturschaffenden der Stadt über »innovative Konzepte für die Nutzung und Sicherung von städtischen Räumen für Kunst und Kultur«. Pandemiebedingt allerdings online.

Lange sei die Ansicht vertreten worden, dass die Senatskulturverwaltung vor allem dazu da sei, Fördergelder auszureichen, so Lederer. Dementsprechend war das von der rot-rot-grünen Koalition ausgerufene Ziel, 2000 Arbeitsräume für Künstler in Berlin bis zum Ende der Legislatur zu sichern, durchaus ambitioniert. »Die Kulturverwaltung war gar nicht dafür aufgestellt. Wir hatten nicht die Strukturen und das Personal«, sagt er.

Der Senator geht davon aus, dass bis Ende 2021 das Pensum nur fast erfüllt sein wird. 1750 Ateliers sollen dann zur Verfügung stehen, 500 weitere in Arbeit sein. Im Vergleich zu vielen anderen Senatskollegen kommt er damit den Zielen des Koalitionsvertrages deutlich näher. Die Aufholjagd ist durchaus rasant, denn Ende 2017 waren es erst 966 Räume, zwei Jahre später 1376. »Es war mir wichtig, Kulturpolitik als Infrastrukturpolitik auszurichten, damit wir in der Lage sind, relevante Strukturen für Kulturschaffende bereitzustellen, die sie benötigen«, so Lederer. Und zwar möglichst in eigener Hand oder bei gemeinwohlorientierten Trägern. Eine deutliche Abkehr vom früheren Ansatz beim Atelierprogramm, Räume anzumieten und sie dann herunter zu subventionieren. »Das wird immer teurer und subventioniert am Ende vor allem die Eigentümer der Räume«, sagt der Kultursenator.

Anfang 2021 soll die Kulturraum GmbH ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe: Räume für Kulturschaffende akquirieren, vorzugsweise durch die Entwicklung und Umnutzung landeseigener Liegenschaften. Einiges ist schon in der Mache. So bei der Alten Münze und dem Haus der Statistik in Mitte. An der Osdorfer Straße in Lichterfelde hat die Genossenschaft Eine für Alle den Zuschlag für ein Landesgrundstück bekommen, das sie in Erbpacht erhält. Sie will dort ein Atelierhaus errichten.

Die Fortschritte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage für Kulturschaffende in der Hauptstadt alles andere als rosig ist, die Corona-Pandemie verschärft die Lage immens. »Ein einmal geschlossener Club oder ein Kabarett würden vermutlich verloren gehen und ersetzt werden durch andere Nutzungen«, sagt Klaus Lederer. Auch er habe unruhige Nächte deswegen.

»Wie können wir tatsächlich langfristig Räume und Liegenschaften vom Markt kriegen?«, will der Berliner Atelierbeauftragte Martin Schwegmann wissen. »Alleine in öffentlicher Hand kann es nicht sein, weil auch wieder ein anderer Wind wehen kann«, gibt er zu bedenken.

»Was hat die Linke vor zu tun, wenn das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kippt?«, fragt Zoë Claire Miller, Sprecherin des Berufsverbands Bildender Künstler*innen. Denn auch die rasant steigenden Wohnungsmieten bringen die Kulturszene in Bedrängnis.

Julia Dimitroff von der Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow kämpft seit anderthalb Jahren um eine Grünfläche in ihrer Wohngegend, auf der die landeseigene Gesobau als Nachverdichtungsmaßnahme Wohnblöcke errichten will. »Eines unserer Hauptargumente war der Klimaschutz, aber es geht auch um die sozialen Räume, die hier vernichtet werden sollen. Seit dem ersten Lockdown sind wir dabei, die Fläche absolut niedrigschwellig mit Kultur zu füllen. Wir machen seit 28 Wochen Konzerte hier draußen. Wer spenden will, kann dies tun«, berichtet sie.

Es ist wohl genau so ein Engagement, das Anne Helm in ihrem Eingangsstatement meint, wenn sie davon spricht, dass Kulturräume auch als Freiräume begriffen werden sollten - dabei gehe es nicht nur um »Hochkultur für eine gebildete Mittelschicht«. »Unser Anliegen ist es, eine solidarische Stadtentwicklung voranzutreiben, in der Flächenkonkurrenzen solidarisch aufgelöst werden«, sagt die Co-Fraktionschefin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus.

»Auch die Linke kommt mir etwas planlos vor, was die Bürgerbeteiligung und auch die Kulturförderung angeht«, sagt Dimitroff. »Sie kommt immer bis zu einem gewissen Punkt, wo die Puste ausgeht, also das Geld.«

Die Antworten sind eher verhalten. »Alle Einwirkungen, die versucht werden, perlen einfach ab«, sagt der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Michail Nelken, zu den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. »Ich bin da auch ein bisschen ratlos und genervt.« Allerdings ist er zuversichtlich, dass der Mietendeckel der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhält. Bei den Gewerbemieten sei allerdings noch »Luft nach oben«.

Ganz konkret wird die im August zurückgetretene einstige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke): »Gerade der Freiraum - Stichwort Draußenstadt - wird uns in den nächsten Monaten noch beschäftigen«, sagt sie. »Wir müssen den Zugang zum öffentlichen Raum, zu Grünflächen, vereinfachen. Vielleicht muss man da ja ans Grünflächengesetz ran.«

»Wir sind noch im Kapitalismus. Grundbesitz ist nicht neutral. Man muss den Anteil der Grundstücke ausweiten, wo die Inwertsetzung keine Rolle spielt«, erklärt Kultursenator Lederer und kommt auf den Sozialisierungsartikel 15 des Grundgesetzes zu sprechen, auf dessen Basis das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« läuft. Denn: »Man kriegt das hier so nicht geregelt im Abgeordnetenhaus.«

Angesichts schrumpfender Haushaltsspielräume bereitet Lederer das Publikum auf die kommenden Abwehrkämpfe gegen Kürzungen vor. »Weil man weiß, dass die Schlacht kommt, muss man mit der Organisierung anfangen«, sagt er.

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