Helle Freude am Gemetzel

Die Horror-Serie «Wynonna Earp» schafft es, zugleich amüsant, bestialisch, klischeehaft, originell und sogar ein bisschen politisch zu sein

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

White Trash«, gängiger Kampfbegriff für US-Amerikas weiße Unterschicht, hat seit den 70er Jahren einen ziemlich seltsamen Stammplatz im Horrorfilmgenre. Dort nämlich zerhacken die moralisch und materiell verwahrlosten Hinterwäldler gerne Backpacker auf Reisen durchs mittelwestliche Nirgendwo und hängen ihr totes Fleisch sodann dekorativ unters Dach düsterer Scheunen. Auch die Schlächter der Mysteryserie »Wynonna Earp« erinnern demnach an Wohlstandsverlierer, die vom Wohnwagenpark aus Wohlstandsgewinner verfolgen. So brutal, so plakativ. So zeitgenössisch.

Denn was ein bisschen nach Tobe Hoopers sagenhaftem »The Texas Chain Saw Massacre« klingt, in dem eine Handvoll kettensägenschwingender Dorfkannibalen 1974 die hedonistische Leistungsgesellschaft filetierte, hat bei aller selbstreferenziellen Grausamkeit auch 46 Jahre später seinen Ursprung in der politischen Wirklichkeit vorm Fernseher. Die Killer von heute sind nämlich allesamt untote Opfer des Revolverhelden Wyatt Earp, berühmt-berüchtigt geworden bei einer Schießerei am O. K. Corral in Tombstone/Arizona Ende 1881 und auch sonst so schnell am Abzug, dass insgesamt 77 Leichen seinen Weg gepflastert haben.

Nachdem die ersten zwei Staffeln kurze Zeit bei Netflix von den Toten auferstanden waren, um sich an den Ahnen des Marshals zu rächen, zeigt der Spartenkanal Syfy nun alle vier neuen einer Serie, die uns einiges übers Hier und Jetzt erzählt. Endgegnerin der Westernzombies ist nämlich Wyatt Earps Ururenkelin Wynonna (Melanie Scrofano), die als Teil einer halboffiziellen Men-in-Black-Abteilung namens »Badge Division« mit Ururopas magischem Colt Jagd auf dessen Opfer macht. Und weil der bildschönen Geisterjägerin nicht nur ihre sexy Schwester Waverly (Dominique Provost-Chalkley) in Hotpants beisteht, sondern ein FBI-Agent (Shamier Anderson) aus der Stadt und Wyatts früherer Spießgeselle Doc Holliday (Tim Rozon) aus dem Jenseits, wirkt der Frontverlauf unverhofft aktuell.

Rechts der Kampflinie im staubigen Städtchen Purgatory: jener abgehängte, tendenziell weiße, meist ältere White Trash, der Donald Trump bis an den Rand des Bürgerkriegs die Treue hält. Links davon die sozial erfolgreichere, mehrheitlich weibliche, sehr diverse Mittelschicht aufgeschlossener Mittelstandskinder, denen Joe Biden seinen Wahlsieg verdankt. Dass er nur ein paar Tage vor der Ausstrahlung erfolgte, ist selbstverständlich Zufall. Es passt aber perfekt ins Bild - sollte allerdings dennoch nicht vom wahren Kern der Story ablenken.

Ungeachtet der soziokulturellen Metaebene ist »Wynonna Earp« schließlich vor allem eines: unterhaltsame Horror-Action mit Hektoliterweise Kunstblut plus angemessener Prise (Galgen-)Humor, für die ganz besonders der hinreißend flamboyante Nostalgiker Doc Holliday sorgt. Natürlich strotzt auch dieses Produkt aus dem wachsenden Fundus blutiger Fernsehmärchen vor Klischees. Frauen sind siedend heiß und Männer Kerle, deren Aufritte vielfach zu pathetisch geraten, ihre Wortgefechte zu gestanzt, die Duelle zu bildgewaltig. Aber gut - als Vorlage dient Showrunnerin Emily Andras (»Lost Girl«), ja auch die gleichnamige Comic-Reihe von Beau Smith. Realismus und Objektivität spielen da naturgemäß eher Nebenrollen.

So wird »Wynonna Earp« zu einer Art »Buffy« des neuen Jahrtausends, wenngleich ohne die lustigen Spätpubertätsprobleme der Geisterjägerin aus den 90er Jahren, dafür mit ebenso großer Lust am Vermischen unvereinbarer Genres und Perspektiven im Tonfall der Gesellschaftssatire. »Black Badge Agents fliegen normalerweise unterm Radar«, mahnt FBI-Agent Dolls, als seine Mitstreiterin in aller Öffentlichkeit mit heller Freude am Showkampf Untote erledigt, »du bist eben gerade über dem Radar geflogen mit einem brennenden pinken Jet«. So ungefähr fühlt sich diese Horrorserie fast unablässig an - und wird dadurch ganz schön sehenswert.

»Wynonna Earp« auf Syfy Universal

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