Heiße Wut in Guatemala

Während Protesten gegen Haushalt geht Polizei hart gegen Demonstranten vor

  • Peter Steiniger
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei großen Protesten in Guatemala-Stadt gegen den Regierungshaushalt für das Jahr 2021 und Staatschef Alejandro Giammattei haben kleine Gruppen gewalttätiger Demonstranten am Samstag das nur schwach bewachte Parlament gestürmt und dort mehrere Feuer gelegt. Die Flammen konnten von der Feuerwehr nach kurzer Zeit gelöscht werden. Nach Angaben des Roten Kreuzes mussten mehrere Menschen wegen Rauchvergiftungen vor Ort behandelt werden. Fast 50 Menschen wurden ins Krankenhaus gebracht, einer schwebte in Lebensgefahr. Die Polizei ging mit großer Härte gegen die Protestierenden vor und verhaftete Dutzende Personen.

Aufgerufen zur Demonstration am Samstagnachmittag in der Hauptstadt hatte ein Bündnis von sozialen Bewegungen, Stadtteilgruppen, Menschenrechts- sowie studentischen Organisationen. Nach den Zwischenfällen im Parlamentsgebäude richtete sich die Repression der Sicherheitskräfte auch gegen die mehr als 10 000 Teilnehmer - darunter viele Familien - der friedlich verlaufenden Kundgebung auf dem Platz der Verfassung, die von der Polizei mit Tränengasgranaten beschossen wurden. Die Aktionen gegen den Haushalt haben auch weitere Städte des Landes erfasst, darunter Huehuetenango und Quetzaltenango. wo die Polizei ebenfalls gewaltsam gegen Demonstranten vorging.

Der am vergangenen Mittwoch im Parlament im Eilverfahren beschlossene Rekordetat über umgerechnet 12,7 Milliarden Dollar sieht vor, Mittel für den Gesundheits- und Bildungssektor, die Bekämpfung der Unterernährung sowie die Menschenrechtsombudsstelle zu kürzen. Statt dessen soll erheblich mehr Geld in die von Korruption durchsetzten Bereiche Bauwesen und Infrastruktur fließen, was die im Land tätigen internationalen Konzerne begünstigt. Guatemala wird damit ein noch höherer Schuldendienst aufgebürdet.

Die Haushaltspläne wurden in den vergangenen Wochen von Protesten aus verschiedenen Sektoren der Gesellschaft und erregten Debatten in den sozialen Medien begleitet. Gegen den Etat wandten sich Vertreter der Kirchen, der Unternehmerverbände des Landes und von Oppositionsgruppen. Dem Widerstand gegen den Haushalt schloss sich auch Vizepräsident Guillermo Castillo an, der Staatschef Giammattei erfolglos aufforderte, gegen das Gesetzesdekret sein Veto einzulegen. Kurz vor den Demonstrationen kritisierte Castillo gegenüber den Medien die Politik der Regierung, die sich in Bezug auf die Anliegen der Bürger taub stelle, und schlug Giammattei vor, mit ihm gemeinsam zurückzutreten.

Nach den Brandstiftungen verurteilte Guatemalas Präsident den Angriff auf das Parlament scharf. Die daran Beteiligten würden die »volle Kraft des Gesetzes« zu spüren bekommen, ließ er per Twitter wissen. Der konservative Politiker trat erst Mitte Januar sein Amt an. Im Wahlkampf hatte er eine harte Hand bei der Bekämpfung von Kriminalität und Korruption sowie wirtschaftlichen Aufschwung und soziale Entwicklung versprochen. Auf eine Einlösung der Ankündigungen warten die Guatemalteken vergeblich.

Das ist nicht allein der Covid-19-Pandemie geschuldet, welche die vorhandene soziale und ökonomische Misere des mit rund 17 Millionen einwohnerstärksten Landes Zentralamerikas im Süden der Halbinsel Yucatán noch verschärft. Nach offiziellen Angaben wurden in Guatemala bislang knapp 20 000 Coronafälle nachgewiesen, mehr als 4000 Infizierte starben. Das öffentliche Gesundheitssystem des Landes liegt am Boden und ist mit dem neuen Problem erst recht überfordert. Das Corona-Management der Regierung steht in der Kritik, für den Gesundheitssektor dringend notwendige Beschaffungen vernachlässigt zu haben.

Soziale Bewegungen beklagen zugleich, dass rigide Maßnahmen zur Eindämmung von Corona als Vorwand für eine Ausweitung des Autoritarismus und der Repression gegen oppositionelle Kräfte genutzt werden. In Guatemala fallen immer wieder Menschenrechtler Anschlägen zum Opfer. Mehrere Gebiete des Landes befinden sich wegen der Coronakrise im Ausnahmezustand.

Das Armenhaus zwischen Pazifik und Atlantik trägt bis heute an den Folgen des 36 Jahre bis 1996 andauernden Guatemaltekischen Bürgerkriegs, der 200 000 Tote forderte. Die meisten Opfer gehörten zur indigenen Bevölkerung der Maya, die bis heute besonders unter Diskriminierungen und Unterdrückung zu leiden hat. Die Terrorjahre hatte das Land einem von der CIA betriebenen Putsch gegen den sozialreformerischen Präsidenten Jabobo Árbenz 1954 zu verdanken. Die Hoffnungen aus dem nach langen Verhandlungen geschlossenen Friedensvertrag zwischen Regierung und Guerilla-Gruppen auf eine gerechtere Verteilung der Güter haben sich nicht erfüllt. Eine oligarchische Kaste der alten Eliten und hohe Militärs kontrollieren weiter Guatemalas Reichtümer, die politische Landschaft ist zersplittert. Bandenkriege im Zusammenhang mit Drogenkriminalität sind an der Tagesordnung, die Mordrate ist eine der höchsten weltweit. Aus gutem Grund ist Guatemala eines der wichtigsten Ursprungsländer für die Flüchtlingstrecks gen USA.

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