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Blöd, aber wie Beckett

Zum Tod von Karl Dall

  • HANS-DIETER SCHÜTT
  • Lesedauer: 3 Min.

Vernunft ist eine Plage. Immer muss ein Sinn her wie ein Strafbescheid. Jedem Herrenwitz droht eine Staatsanwältin. Die Gürtellinie ist stacheldrahtbewehrt. Der furchige Ernst der Lage steht Wache an den Mundwinkeln. Wer unter Niveau lacht, hat keins. So wurden Weltretter und Gesellschaftskritiker zu einem bedrängenden Elend, dem man ausweichen möchte. Und so erfanden sich die Blödelbarden. Karl Dall war einer der Großen dieser Sparte. Der Tragik seines hängenden Augenlids gewann er die Kunstleistung ab: Es triumphierte gegen die Politbeflissenen mit ihrem dauernden Durchblick und Überblick.

»Zu uns sprach Herbert Wehner: Nur Engel singen schöner.« Mit »Insterburg und Co.« betrat 1967 ein singendes, trötendes, quäkendes, kiffendes, lallendes, wirrwuselndes, herrlich unbekümmertes Quartett die Bühne. Und klassischem Versmaß die Treue hielt: »Ich liebte ein Mädchen in Tegel, das hatte Ohren wie Segel«. Es war die Zeit, da jene Pflastersteine aus der Straße gerissen wurden, über die letztlich alle stolperten. Achtundsechzig. Die Revolutionäre zogen in die Betriebe und staunten, wie uneinsichtig treu die Werktätigen zu ihrer Arbeiterbewegung standen: dem Fließband. Joschka Fischer, Günter Grass, Willy Brandt, Rudi Dutschke, Adorno und Horkheimer - Namen als Marksteine einer Brodelperiode, die naturgemäß auch das Gegenteil von Engagement und Eifer schuf: die Spaßguerilla. »Insterburg und Co.« - das war Rebellion durch Beharrung auf unzeitgemäßem Verhalten. So kehrte mit den Gauklern aus Friesland und Ostpreußen gleichsam die Romantik wieder, der Eichendorff’sche Taugenichts. Komik und Kalauer gegen den Systemterrorismus des Wachstums, der Stressproduktion und der diversen politischen Widerstandskulturen.

1979 ging Dall solo auf Tour. Der Spaßvogel als Peter Handke pur: »Spiele das Spiel. Vermeide die Hintergedanken. Pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt.« Der Narr seines Zuschnitts ist ein Konservativer: Er weiß immer, dass es zu wenig ist, was er für eine bessere Welt tun könnte. Zum Mut, zu dem er aufruft, will er vorher immer wissen, ob er ihn auch selber hätte. Natürlich hat er ihn nicht. Also versteckt er sich. Am besten im Fernsehen. Am allerbesten RTL oder SAT.1. Schunkelnd. Schmalzend. Schlagernd. Schimpfend.

»Millionen Frauen lieben mich.« Auftritt immer dort, wo es am billigsten ist. Dort, wo sich Ansager für Programmstörungen entschuldigen, nie fürs Programm. Von »Verstehen Sie Spaß?« bis »Rote Rosen« - Aufenthalt in Segmenten, die Publikum haben. Publikum, auf das man von der Intellektuellenwarte gern herabschaut, aber ansonsten will man natürlich politisch das Beste für die Leute. Auch wenn man sich an Worten wie Volk oder Heimat fast verschluckt. »Ich mache Heimatfernsehen«, hat Dall gelispelt. Unrealistischer, abwehrender, hinwegträumender kann kein Prinzip sein. Das ist sie, die Totalkampfansage gegen das Bestehende. Das kriegen Politbarden aus der Oppositionsecke nie hin.

Er war der Knautschige, der Botschafter der bestgespielten schlechten Laune. Barde - das lässt an Beckett oder Bernhard denken. Von der Einfalt hieß es einst, sie sei heilig. Karl Dall hat uns nahegebracht, was damit gemeint sein könnte. Auch mit eigenen Sendungen, »Dall As« und »Jux und Dallerei«. Und entwaffnender Selbstwerbung: »Diese Scheibe müsst ihr koofen, is’ ’ne Scheibe für die Doofen.«

Nun ist er mit 79 Jahren in Hamburg gestorben. Einer seiner letzten Auskünfte war: »Zur Ruhe setze ich mich nicht. Ich leg’ mich gleich hin.«

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