Jenseits der SWAPO

Die Wählerschaft in Namibia formiert sich neu

  • Henning Melber
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Watsche ist deutlich: Von 83 auf knapp 57 Prozent ist die Regierungspartei und ehemalige Befreiungsbewegung SWAPO bei den Regional- und Kommunalwahlen in Namibia abgestürzt. In vielen Wahlkreisen hat die SWAPO deutliche Verluste erlitten, die Hauptstadt Windhoek ging überwiegend an Oppositionsparteien. Seit der Unabhängigkeit 1990 hatte die Partei die uneingeschränkte politische Kontrolle in der einst deutschen Kolonie Namibia. Erstmals bröckelte die Basis im Volk mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende November 2019. Die Parlamentsmehrheit rutschte von 80 auf 66 Prozent ab und Präsident Hage Geingob wurde bei seiner Wiederwahl mit 57 statt zuvor 87 Prozent düpiert. Die Ergebnisse der Regional- und Kommunalwahlen verfestigen diesen Trend. Zwar hält die Regierungspartei immer noch die Mehrheit, doch das Image der Partei ist schwer beschädigt und ihre Dominanz schwindet.

Zur Wahl traten in diesem Jahr 18 politische Parteien und 13 Wählervereinigungen sowie 92 unabhängige Kandidaten an. Als größte Herausforderung zog die neu gegründete IPC (Independent Patriots for Change) ins Feld. Deren Präsident Panduleni Itula erhielt im November 2019 als SWAPO-abtrünniger unabhängiger Präsidentschaftskandidat auf Kosten Geingobs fast 30 Prozent der Stimmen. Die IPC-Kandidaten, die des Popular Democratic Movement (PDM) als größter parlamentarischer Opposition, des Landless People’s Movement (LPM) und Aktivisten der Sozialbewegung Affirmative Repositioning (AR) rangelten neben ethnisch-regional verankerten Parteien um das Vertrauen, das der SWAPO entzogen wurde.

Rundum wurde an Wahlversprechungen nicht gespart und erstmals gab es einen ernsthaften Wahlkampf. Dabei wurde vonseiten der SWAPO der Ton deutlich rauer. Präsident Geingob kommentierte die Registrierung einer großen Zahl weißer Wahlberechtigter, denen Sympathien für die IPC nachgesagt wurden, als Kriegserklärung. Ein ehemaliger Oberbefehlshaber der Armee forderte Anwesende einer Wahlveranstaltung auf, Dissident*innen der Partei die Kehle durchzuschneiden. Im August hielt der Verteidigungsminister eine Brandrede vor Soldat*innen, in der er zur Mobilisierung gegen einen von außen gesteuerten Regimewechsel aufrief. Führende Parteivertreter*innen brandmarkten Abweichler als Opportunisten, Schwächlinge und Verräter.

Das sichtbare Schwächeln der Regierungspartei motivierte eine unerwartet hohe Zahl an Neuwähler*innen aller Altersgruppen. Besonders in den urbanen Zentren gab es großen Andrang auf die Wahllokale. Aber demokratisch-strategisches Verhalten muss noch geübt werden. In zahlreichen Wahlbezirken jagten sich die - oftmals jüngeren - Kandidaten der Oppositionsparteien einander die Stimmen ab. So musste die SWAPO zwar deutlich Federn lassen, doch vermochte sie dank des Wahlprinzips der einfachen Mehrheit unterm Strich noch halbwegs glimpflich davon zu kommen. In manchen umkämpften Bezirken reichte ein Drittel der Stimmen, um sich das Mandat zu sichern.

Nur in ihren nördlichen Hochburgen des Ovambolandes konnte sie massive Einbrüche weitgehend vermeiden. In den meisten anderen Regionen büßte sie die absolute Mehrheit ein oder wurde von einer anderen Partei überholt. Die meisten städtischen Zentren fielen ganz oder teilweise an die Opposition.

Bis zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November 2024 hat die SWAPO Zeit, ihre durch Korruptionsskandale und Machtmissbrauch beschädigte Glaubwürdigkeit und Legitimität wiederherzustellen. Ob und wie das passiert, wird auch zeigen, wie ernst sie es mit der Demokratie meint. Diese ist jedenfalls seit Mittwoch in der Bevölkerung angekommen.

Henning Melber ist deutsch-namibischer Afrikanist und seit 1974 Mitglied der SWAPO.

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