Eine Querdenkerin verlässt die Linkspartei

Marina S. aus Hennigsdorf engagierte sich jahrelang gegen Rechts und protestiert nun mit Neonazis gegen die Corona-Maßnahmen

Marina S. war vier Jahrzehnte lang Mitglied der Linken. Sie war früher mal Stadtvorsitzende in Hennigsdorf und saß im Vorstand des Kreisverbands Oberhavel. Das alles ist Geschichte. Wie jetzt durch einen Bericht des »Oranienburger Generalanzeigers« bekannt wurde, trat sie am Donnerstag aus der Partei aus. Hintergrund sind Meinungsverschiedenheiten über die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Seit einigen Wochen gibt es immer montags in Oranienburg Demonstrationen der Querdenken-Bewegung und Marina S. beteiligt sich als Ordnerin.

Eigentlich bestünde kein Zweifel an der antifaschistischen Gesinnung von Marina S., die sich im Hennigsdorfer Ratschlag gegen Rechts engagierte und sehr um Flüchtlinge kümmerte. Sie sei da immer sehr aktiv gewesen, heißt es. Die Organisatoren der Oranienburger Querdenken-Demonstrationen stammen vermutlich nicht aus dem organisierten rechtsradikalen Spektrum, sagt der Linke-Kreisvorsitzende Enrico Geißler. Unter den Demonstranten werden aber Mitglieder der AfD gesichtet und ein NPD-Stadtverordneter aus Velten. Darauf wiesen Oranienburgs Linke-Vorsitzende Gerrit Große und andere Genossen Marina S. hin. Am Ende kam von ihr aber nur: Wenn ein Nazi »Frieden«, »Demokratie« und »Freiheit« rufe, könne sie damit leben.

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Ursel Degner, die mit Enrico Geißler die Doppelspitze im Kreisverband bildet, wundert sich, denn sie protestierte in der Vergangenheit Seite an Seite mit Marina S. gegen Neonazis. »Die Linke sieht den Umgang mit der Coronakrise kritisch«, bestätigt Degner. Die Partei rügt, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens ohne Beschlüsse der Parlamente verfügt und Soloselbstständige im Stich gelassen werden. Diese Kritik teilt Degner »von Herzen«, wie sie sagt. Doch gemeinsam mit Nazis auf die Straße zu gehen, wofür auch immer, das lehnt sie ab. Der Parteiaustritt sei »folgerichtig«, sagen Geißler, Große und Degner. Trotzdem drückte Geißler in einer persönlichen E-Mail an Marina S. sein Bedauern darüber aus und dankte ihr für ihr jahrelanges Engagement. Sinngemäß, so verrät er, habe er Marina S. angeboten, sie solle sich melden, wenn sie umkehren wolle und dabei Hilfe benötige.

Auf Kontaktversuche von »nd« reagierte Marina S. bislang nicht. Sie wird aber im »Generalanzeiger« mit den Worten zitiert: »Corona ist wie eine Grippewelle. Corona ist ansteckend und schlimm. Aber es gibt noch nicht einmal 20.000 Tote.« Es würden mehr Menschen an Vereinsamung sterben als an dem Virus.

Auf ihrer Facebookseite schreibt sie: »Sie diktieren uns bis ins Private hinein, wie wir zu leben haben, und geben sich beleidigt, wenn wir das ›Diktatur‹ nennen. Sie verhalten sich so autoritär und brutal, dass sich Vergleiche mit der Nazizeit geradezu aufdrängen - und versuchen dann jedem den Mund zu verbieten, der solche Vergleiche anstellt. Dieses Land verwandelt sich Schritt für Schritt in einen totalitären Abtraum ...« Aber es ist nicht ganz einfach nachzuvollziehen, ob Marina S. dies Wort für Wort selbst glaubt oder hier nur jemanden zitiert. Sie teilte auch Videos von Carolin Matthie zum Thema Coronavirus. Dazu muss man wissen, dass jene Matthie im Jahr 2019 von der AfD als junges Mitglied vorgestellt wurde, das mit einer Schreckschusspistole herumlaufe, weil sie sich nicht mehr sicher fühle.

Marina S. sticht einerseits heraus, andererseits ist sie kein Einzelfall. Enrico Geißler hat nach eigener Aussage noch zwei, drei andere Genossen in seinem Kreisverband, die der Querdenken-Bewegung zuneigen. Aus dem Stadtverband Hohen Neuendorf heraus wurde im Oktober gefordert, den Protest gegen Corona-Regeln »nicht pauschal zu verunglimpfen« und friedlichen Teilnehmern »Gehör zu verschaffen«. Eine Studie des Soziologen Oliver Nachtwey ergab, dass 17 Prozent der Querdenker bei der letzten Bundestagswahl für die Linke stimmten und 14 Prozent für die AfD. Bei der nächsten Wahl wollen nun aber 30 Prozent der Querdenker die AfD ankreuzen. Aktuell werden in Brandenburgs Krankenhäusern 581 Corona-Patienten behandelt, davon 131 auf Intensivstationen. Die Zahl der im Land gemeldeten Todesfälle stieg am Dienstag um 18 auf 481.

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