Wildwest im All

Raumfahrtexperten fordern jetzt ethische Richtlinien.

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Weltraumfahrt befindet sich gegenwärtig in einer stürmischen Phase ihrer Entwicklung. Gleich drei Missionen zum roten Planeten Mars sind derzeit unterwegs, der Mond wird von zahlreichen Nationen ins Visier genommen und auch die Kleinkörper des Sonnensystems erleben gerade eine intensive Erforschung durch Raumsonden. Zu den anfangs einzigen beiden Raumfahrtnationen Sowjetunion und USA haben sich inzwischen weitere gesellt, von denen Europa, China, Japan und Indien bereits eindrucksvolle Beweise ihrer erfolgreichen Aufholjagd demonstrieren konnten. Doch auch die Zielstellungen heutiger Raumfahrtunternehmungen haben sich verändert. Visionäre Vorstellungen, die früher ausschließlich den Science-Fiction-Autoren vorbehalten waren, werden zunehmend zu realen Plänen.

Wirtschaftliche Interessen

Dabei rücken wirtschaftliche Aspekte immer mehr in den Vordergrund. Die Forschungen der vergangenen Jahrzehnte haben nämlich gezeigt, dass die kosmischen Objekte unserer nächsten Umgebung reich wertvollen Rohstoffen sind, auch solchen, die auf der Erde knapp werden. So zeigt eine soeben veröffentlichte geologische Karte des Mondes neben Lagerstätten von Eisen und Aluminium auch solche von Gold, Titan, Rhenium und diversen Metallen der Seltenen Erden. Auf den Asteroiden findet man Kobalt, Nickel, Eisen, Germanium, aber auch Rhenium, Iridium, Tantal, Ruthenium, Rhodium, Palladium sowie Zink und Osmium. Wegen der besonderen Entwicklungsgeschichte dieser kleinen Objekte sind die begehrten Substanzen oft schon auf ihren Oberflächen in beachtlicher Häufigkeit anzutreffen. In den letzten Jahren gab es eine Vielzahl von Studien zu ihrem Abbau.

Doch dabei blieb es nicht. Vielmehr hat der sich abzeichnende neue »Goldrausch« die USA bereits 2015 dazu veranlasst, ein Gesetz zur Förderung des privaten Unternehmertums der Luft- und Raumfahrt zu erlassen, das es jeder US-amerikanischen Firma erlaubt, die Rohstoffe (einschließlich Wasser) von Objekten des Weltraums in Besitz zu nehmen. Zwei Jahre später folgte das kleine Luxemburg mit einem »Gesetz über die Erforschung und Nutzung vom Weltraumressourcen«. Die entsprechenden Rechte fallen danach allen Firmen zu, die sich in Luxemburg ansiedeln. Das sind mittlerweile mehr als einhundert, nicht zuletzt wegen der verlockenden Steuervergünstigungen. Inzwischen haben auch andere Staaten nationale Weltraumgesetze geschaffen, und der »Bundesverband der Deutschen Industrie« (BDI) forderte in seiner »Weltraumerklärung« von 2019 die Bundesregierung auf, ebenfalls gesetzgeberisch tätig zu werden. Völlig zu recht heißt es aber am Schluss dieser Erklärung, man möge auf ein internationales Regime zur Nutzung von Weltraumressourcen hinwirken. Nationale Alleingänge, wie jene der USA und Luxemburgs, stellen nämlich nach Ansicht einiger Weltraumjuristen praktisch eine Verletzung des Weltraumvertrages von 1967 dar und sind somit völkerrechtswidrig.

Im Weltraumvertrag gelten die Himmelskörper als gemeinsames Erbe der Menschheit und deshalb dürfe sich kein einzelnes Land oder eine Firma diese Objekte oder Teile davon aneignen. Welche Interessenskonflikte dabei in einer kapitalistischen, auf Profit orientierten Gesellschaft zutage treten, zeigte sich bereits beim sogenannten Mondvertrag, der den Vereinten Nationen 1979 in Ergänzung des Weltraumvertrages vorgelegt wurde. Hier werden ausdrücklich alle Aktivitäten untersagt, die einzelnen Staaten Profite zum Nachteil anderer Staaten verschaffen. Doch der Vertrag gilt als gescheitert, da ihn nur 17 Staaten unterzeichnet haben, darunter keine einzige aktive Weltraumnation. Die dringend notwendige neue internationale Regelung, wie die UNO sie anstrebt, heute herbeizuführen, ist schon deswegen weitaus schwieriger als 1979, weil dem Weltraumausschuss inzwischen 85 Staaten angehören - damals waren es nur 18.

Gegenwärtig dominieren neben dem Abbau von Rohstoffen im All zwei Großprojekte die Diskussion: das US-amerikanische Artemis-Programm und die Landung von Menschen auf dem Mars. Mit Artemis wollen die USA 2024 erneut Menschen auf den Mond bringen - als Startschuss für dauerhaft bemannte Mondstationen. Auch die Europäische Raumfahrtagentur Esa hat ein mit internationalen Mannschaften besetztes »Monddorf« vorgeschlagen.

Pläne zur Nutzung des Planeten Mars existieren schon länger und gehen auf visionäre Vordenker zurück, die sogar eine Umformung des kalten Wüstenplaneten in eine von Menschen bewohnbare Welt durch sogenanntes Terraforming beabsichtigen. Schon der Astronom Carl Sagan hatte jedoch Bedenken und stellte die Frage: »Darf man uns, die wir unsere eigene Welt ruiniert haben, eine andere Welt anvertrauen?« Tatsächlich würden die in naher oder fernerer Zukunft beabsichtigten Raumfahrtaktivitäten einen markanten Eingriff des Menschen in bislang unberührte kosmische Welten bedeuten. Wir würden genau das wiederholen, was wir in unserer Vergangenheit auf der Erde getan haben: Fremde Territorien erobern und rücksichtslos zu wirtschaftlichen Zwecken ausbeuten.

Deshalb gibt es seit Jahren auch intensive Diskussionen um die mit der Raumfahrt verbundenen ethischen Probleme. So hat bereits Christopher P. McKay, der durch konkrete Szenarien für ein Terraforming des Mars bekannt wurde, auch die ethischen Fragen diskutiert, die damit verbunden sind. Er meinte schließlich, dass wir die Lektionen über die Umwelt, die wir hier auf der Erde mit Mühe und unter Opfern gelernt hätten, verallgemeinern und auf den Mars übertragen sollten, ehe wir zu ihm aufbrechen. Die eigentlichen »Macher« der Raumfahrt haben sich darum allerdings wenig gekümmert. Das war jetzt für eine Expertengruppe unter Federführung von Frank Tavares vom Nasa Ames Research Center in Kalifornien der Anlass, einen kräftigen »Weckruf« in die Welt zu schicken. Unter dem Titel »Ethische Untersuchungen und die Rolle des Planetenschutzes bei der Störung kolonialer Praktiken« veröffentlichten insgesamt elf Autoren verschiedener US-amerikanischer Universitäten und Institutionen einen leidenschaftlichen Appell, dem sich bereits 109 namhafte Unterzeichner angeschlossen haben. In dem Papier prangern sie die gewalttätigen kolonialen Praktiken der jüngeren Menschheitsgeschichte an, die von Landraub, Rohstoffausbeutung und Umweltzerstörung bis zum Völkermord reichten und auf denen ein großer Teil des Wohlstandes eines kleinen Teils der Menschen auf der Erde beruht. Dieses Erbe sollten wir nicht in den Weltraum tragen, fordern die Autoren. Dabei geben sie zu bedenken, dass wir auch gegenüber eventuellen einfachsten Lebensformen auf anderen Himmelskörpern eine Verantwortung trügen, in deren Evolution nicht einzugreifen. Für das weitere Vordringen des Menschen in den Weltraum sei es notwendig, einen verantwortungsvollen politischen Rahmen zu schaffen, um dadurch zu verhindern, dass wir auf anderen Himmelskörpern irreversible Veränderungen herbeiführen, die wir später bitter bereuen könnten.

Gegenwärtig herrsche jedoch eine Mentalität des »Wilden Westens« in der Weltraumpolitik, und die privaten Akteure priorisieren wirtschaftliche Zwecke. Für die Zukunft - so der Vorschlag der Autoren - sollten ethische Aspekte der Raumfahrt breit diskutiert werden und zwar nicht nur von Technikern, sondern auch von Philosophen, Historikern, Sozialwissenschaftlern und einer möglichst breiten Öffentlichkeit. Letztlich ginge es darum, eine bessere und lebenswerte Zukunft zu schaffen. Dazu sei ein radikaler Wandel der heute herrschenden Strukturen nötig. Der würde auf vielerlei Widerstände stoßen, sind sich die Autoren sicher.

Internationales Abkommen fraglich

Und in der Tat: die ersten heftigen Einsprüche sind schon erfolgt. So sieht etwa der Gründer und Präsident der Mars-Society, Robert Zubrin, ein glühender Verfechter der künftigen Besiedelung des Mars, in dem Papier ein »ideologisches« Dokument, eine »Kombination aus antiker pantheistischer Mystik und postmodernem sozialistischem Denken«. Der Mond hätte kein naturgegebenes Recht, unverändert zu bleiben, denn er sei ein toter Körper, der nichts tun könne und nichts tun wolle. Folglich ginge es den »vermeintlichen Ethikern« letztlich nicht um das Recht des Mondes, sondern darum, den Menschen Rechte am Mond zu verwehren.

Die Diskussion hat also bereits begonnen. Sie wird sich noch zuspitzen und an Fahrt aufnehmen, wenn es darum geht, die international verbindlichen rechtlichen Grundlagen für künftige Missionen der Raumfahrt zu schaffen. An der Notwendigkeit solcher Vereinbarungen besteht kein Zweifel. Deshalb wird gegenwärtig auch der »Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums« der Vereinten Nationen aktiv. Angefangen von der Sicherheitsproblematik und der Vermeidung von Weltraummüll stehen viele Fragen auf der Agenda, bis hin zu der Nutzung von Weltraumressourcen in globaler Partnerschaft. Für wie schwierig selbst die Experten die Schaffung international verbindlicher Rechtsgrundlagen halten, wird schon an dem Zeithorizont deutlich, den sie sich gesetzt haben. Bis 2030 (!) soll die Mammutaufgabe gelöst sein. Doch auch das wird nur gelingen, wenn der politische Wille aller beteiligten Staaten vorhanden ist.

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