Jetzt wird es kompliziert in Thüringen

Die Vereinbarung zur Quasi-Tolerierung der rot-rot-grünen Landesregierung durch die CDU läuft aus

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Der sogenannte Stabilitätsmechanismus in Thüringen ist eine Erfolgsgeschichte. Die nur drei Seiten lange Vereinbarung wurde am 28. Februar 2020 von neun Männern und Frauen »für die sachliche Richtigkeit« unterschrieben. Sie hat dafür gesorgt, dass in Thüringen seit März überhaupt Sachpolitik möglich war. Denn die Landtagswahlen vom Oktober 2019 hatten keine klaren Mehrheiten für die Parteien des demokratischen Spektrums gebracht. Und nach der von der AfD unterstützen Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Vier-Wochen-Ministerpräsidenten war das Land in die tiefste politische Krise seiner Geschichte seit 1990 gestürzt.

Die vor zehn Monaten getroffene Vereinbarung zwischen der CDU auf der einen und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite enthält genau definierte Linien, entlang derer man im Landtag zusammenarbeiten und so für Gesetzesvorhaben eine politische Mehrheit sichern kann. Die CDU hat zwar immer wieder auf das Allerschärfste dementiert, dass sie damit eine Tolerierungsvereinbarung für eine Minderheitsregierung abgeschlossen habe. Doch tatsächlich wirkt der Pakt genau so. Ohne diesen Stabilitätsmechanismus ist zum Beispiel in der Rückschau ziemlich unklar, wie jene Regelungen den Landtag hätten passieren sollen, die inmitten der Coronakrise Unternehmen, Familien, Vereinen halfen. Der Stabilitätsmechanismus hat dafür gesorgt, dass in den vergangenen Monaten bei den entscheidenden Abstimmungen im Landtag Linke, SPD, Grüne und CDU gemeinsam die Hand hoben.

Nun läuft dieser Pakt aus. Was daran liegt, dass über diesen Mechanismus auch der Landeshaushalt für 2021 verhandelt worden ist. Am Montag wird er im Landtag verabschiedet werden; durch Rot-Rot-Grün-Schwarz. Und gleich auf der ersten der drei Seiten des Papiers steht: »Der Stabilitätsmechanismus bindet beide Seiten bis zur Verabschiedung des Haushaltes 2021 im Dezember 2020.« Damit kehren im Thüringer Landtag nun die Zeiten zurück, die es dort schon zwischen der Landtagswahl Ende 2019 und Anfang 2020 gegeben hatte. Man muss sie als das bezeichnen, was sie waren: chaotisch und unübersichtlich. Da im Stabilitätsmechanismus vereinbart war, dass die CDU und Rot-Rot-Grün nur untereinander politische Mehrheiten suchen würden, bedeutet das Ende des Paktes, dass die vier Fraktionen nun auch wieder andere Mehrheiten suchen können.

Gerade für CDU und FDP besteht dabei immer die politische Gefahr, dass die AfD einem ihrer Vorschläge zustimmen könnte. Etwa zur Einführung von Bodycams bei der Thüringer Polizei oder der Ausweitung von Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen im Land.

Eine parlamentarische Mehrheit haben die drei Parteien und ihre Fraktionen, wenn sie gemeinsam abstimmen. Allerdings beteuern Vertreter sowohl von CDU als auch FDP, es gebe »mit der AfD keine Zusammenarbeit und keine Kooperation«, so formuliert es nun der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt, der Erfinder des Stabilitätsmechanismus. »Das ist mein Grundsatz.« Vor der Wahl Kemmerichs zum Kurzeit-Ministerpräsidenten klangen die Worte genauso. Da war Voigt allerdings auch noch nicht Fraktionsvorsitzender.

Trotz dieser Gefahr wollen CDU und FDP allerdings die neuen Spielräume nutzen, die sich durch das Ende des Stabilitätsmechanismus ergeben. Für die FDP ändere sich im Kern ohnehin nichts, weil diese schon immer versucht habe, »sich für die Durchsetzung eigener Vorhaben eine Mehrheit im demokratischen Parteienspektrum zu suchen«, sagt ein Sprecher der Fraktion. Wobei auch zur Wahrheit gehört: Selbst dass nun das Verbot von Windkraftanlagen im Wald - eine Gesetzesinitiative der Liberalen - kommt, ist nur möglich geworden, weil die CDU das Thema für sich entdeckt hat. Wäre es ein reiner FDP-Gesetzesentwurf geblieben, hätte dieser nie eine Landtagsmehrheit erhalten.

Voigt wiederum legt Wert darauf zu beteuern, dass man sich in seiner Fraktion sehr wohl bewusst sei, dass die AfD nur darauf lauere, die CDU in einer Situation vorzufinden, in der sie gemeinsam mit der Union abstimmen könne. Die Rechtspopulisten bräuchten eine solche Abstimmung ebenso wie die Linken, »wenn auch aus unterschiedlichen Gründen«. Es sei aber nicht sein Verständnis von Politik, sich Vorschläge zum Wohl des Landes dadurch kaputt machen zu lassen, dass die AfD ihnen zustimmen könne.

»Ich lass’ mich doch nicht von einem Björn Höcke dumm machen«, sagt er. Die CDU werde schon Sachthemen finden, mit denen sie Rot-Rot-Grün »an den Scharnierstellen herausfordern« könne. Was nichts anderes meint als: Die CDU wird versuchen, vor allem die SPD zum Koalitionsbruch zu verlocken.

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