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Drei aus fünfzehn

Ein Autohaus in Nordthüringen startete ein Pilotprojekt und bildete vor fünf Jahren Geflüchtete aus. Die Bilanz ist durchwachsen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 9 Min.

Ruhiger geht es heute dort zu, wo einer der größten Autohändler Deutschlands seinen Sitz hat. Ruhiger als damals vor fast fünf Jahren.

Nicht etwa, weil coronabedingt gerade weniger zu tun sei, weil weniger Autos verkauft würden, sagt Helmut Peter. Anders als so mancher Autohändler scheinen die Autohäuser der Peter-Gruppe ganz gut durch die Coronakrise zu kommen. »Bei mir sind immer Autos verkauft worden, die ganz Zeit über«, erzählt Peter auf dem kurzen Weg, der von seinem Büro in einem Mercedes-Autohaus in Nordhausen zur Skoda-Werkstatt nebenan führt.

Ruhiger ist es hier in Nordthüringen heute, weil der große Rummel nachgelassen hat, der Anfang 2016 um Peter und »seine Flüchtlinge« gemacht worden war. Nicht nur Nordhäuser Offizielle waren damals aufs Firmengelände gekommen. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Und Frank-Jürgen Weise, der damals Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie der Bundesagentur für Arbeit war. Es wurden überall Fotos geschossen und große Reden geschwungen. Als deutschlandweit einzigartiger Pilotversuch war das Ganze gefeiert worden inmitten einer Zeit, als Hunderttausende Zuflucht in Deutschland suchten.

Nun sitzt Peter alleine in seinem großen Büro und wirkt ein bisschen zerrissen, weil er nicht weiß, wie er dieses Projekt abschließend bewerten soll. Immer wieder fährt seine Hand nach oben oder unten, nach links und rechts, wenn er einen Satz zu diesem Versuch sagt. Fünfzehn Flüchtlinge hatte Peter damals in seinem Unternehmen zunächst als Praktikanten und Lehrlinge in spe aufgenommen. Ziel: aus möglichst vielen von ihnen Kfz-Mechatroniker zu machen.

Warum? Etwa ein halbes Jahr nach Beginn dieses Versuchs hatte er auf diese Frage geantwortet: »Warum auch nicht?« Ihm habe man nach dem Zusammenbruch der DDR doch auch die Chance gegeben, etwas aus sich zu machen. »Ich wusste 1989 nicht mal, wie man Mercedes schreibt.« Und noch heute beharrt Peter darauf, es sei ihm nie darum gegangen, eine Fachkräftelücke in seinem Unternehmen zu schließen. Die gebe es bei ihm nämlich nicht. Er stelle in seiner Autohausgruppe mit etwa 800 Mitarbeitern, die sich über Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt erstreckt, jedes Jahr 30 bis 40 Auszubildende ein. »Ich wollte einfach wissen, ob es klappt.«

Zieht der Unternehmer Peter nun Bilanz, so fällt sie gemischt aus. Einer der Lichtblicke ist sicherlich Haitham Gamil, 26 Jahre alt und aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Er ist einer von denen, auf die Peter ebenso stolz ist wie Achit Tölle, Ausbildungsleiter der Autohausgruppe. Beide loben gleichermaßen die Fach- sowie Deutschkenntnisse des Mannes, der über sich sagt, er fühle sich mittlerweile in Nordhausen und auch in diesem Unternehmen »zu Hause«. »Ich habe hier Bekannte und Freunde«, erzählt Gamil.

Natürlich seien die Ausbildungsjahre nicht einfach gewesen. Mehrfach sei es ihm peinlich gewesen, dass er bei bestimmten Erklärungen zu Bremsen, Einspritzdüsen oder OBD-Steckern wegen der Sprachschwierigkeiten nicht so viel verstanden habe, wie er gerne verstanden hätte. Doch dann habe er besonders genau bei seinen Ausbildern hingeschaut und so das Nötige gelernt.

Allerdings ist Gamil nur noch einer von drei der einst fünfzehn Geflüchteten, die bei ihm 2016 eine Ausbildung starteten und geblieben sind. Natürlich war auch nicht zu erwarten, dass alle von ihnen ihre Ausbildung erfolgreich abschließen würden; ebenso wenig wie alle deutschen Kfz-Mechatroniker-Lehrlinge ihre Ausbildungsjahre mit einem Abschluss beenden. Auch von ihnen, erzählt Tölle, brächen viele im Laufe der Zeit ab oder fielen durch die Prüfung. Doch sowohl Tölle als auch Peter sind mit Blick auf die reinen Zahlen schon »ernüchtert«, wie sie beide sagen, dass nur so wenige Flüchtlinge zu voll ausgebildeten Mitarbeitern des Autohauses geworden sind.

Von den einstmals fünfzehn Flüchtlingen, die zunächst ein Qualifizierungspraktikum bei Peter absolviert hatten, beendeten sechs ihre Ausbildung mit einem Abschluss. Vier der fünfzehn hatten sich schon nach einigen Monaten verabschiedet, weil sie etwas anderes von diesem Beruf erwartet hatten. Von den verbliebenen elf sind fünf im dritten Lehrjahr abgesprungen. Sie sind nach Angaben von Peter vor allem von Unternehmen aus der Industrie abgeworben worden, wo sie nun als Helfer am Band stehen, aber mehr Geld verdienen als Auszubildende. Sie hätten, sagt Peter, sich auch mit dem Fachdeutsch nicht mehr auseinandersetzen wollen, das zum erfolgreichen Abschluss der Lehre unbedingt nötig ist. Einen Groll auf sie, versichert Peter, verspüre er trotzdem nicht. »Die sind in Frieden gegangen«, sagt er.

Noch komplexer wird die Lage beim Blick auf die sechs Flüchtlinge, die ihre Ausbildung Anfang 2020 erfolgreich abgeschlossen hatten. Neben Gamil sind nämlich nur noch zwei weitere der jungen Männer heute in Autohäusern von Peter tätig. Zwei der sechs ausgebildeten Facharbeiter, sagt Peter und wirft eine Hand in Richtung Fenster, seien »zu Wettbewerbern« gewechselt.

Ihren Beweggrund dafür kann man allerdings durchaus als Beleg für eine hervorragende Integration in der Gesellschaft auslegen: Peter erzählt nämlich, dass er beiden Männern Jobs in seinen Autohäusern außerhalb Nordhausens angeboten habe. »Es war immer klar, dass nicht alle in Nordhausen bleiben können«, sagt er. Die beiden Männer hätten aber unbedingt in der Stadt bleiben wollen, ohne jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit zu pendeln. Also hätten sie sich andere Jobs in der Stadt gesucht.

Ein dritter Lehrling, erzählt Peter, habe sich nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Kfz-Mechatroniker-Lehre im Imbissgeschäft selbstständig gemacht. Dazu sagt Peter nicht viel mehr.

Durchwachsen fällt also die Bilanz des Unternehmers für das Pilotprojekt aus. Seine Hände fahren besonders schnell durch die Luft, als er diese Sätze sagt: Junge Flüchtlinge zu Facharbeitern in Deutschland zu machen, sei »äußerst, äußert schwer«. Sie würden »mit einer ganz anderen sozialen Kompetenz nach Deutschland in unser knallhartes System kommen«, das im Dienstleistungssektor besonders unnachgiebig sei. Deshalb sei es für die deutsche Wirtschaft zwar möglich, den Geflüchteten zu helfen. »Wir können sie auch beschäftigen«, sagt er. »Aber wir können nicht alle erfolgreich durch eine Ausbildung bringen.« Es bringe nichts, so zu tun, als sei jeder Geflüchtete ein angehender Arzt mit ausländischen Wurzeln.

Auf die Frage, ob er diesen Versuch noch einmal wiederholen würde, antwortet Peter: »Mit den Erfahrungen von heute und unter den Bedingungen, die wir für so etwas haben, nein.« Gemessen daran, dass er eben noch viel gestikuliert hat, ist sein Gesicht jetzt, als er dies sagt, ziemlich ausdruckslos geworden.

Tatsächlich geht das, was man aus dem Pilotprojekt lernen kann, weit über das Betriebswirtschaftliche hinaus. Es war immer auch ein soziologischer Versuch, der hier in Nordhausen stattgefunden hat und der Rückschlüsse darauf zulässt, wie gut oder schlecht es um die Aufnahme von Migranten innerhalb der Gesellschaft bestellt ist; und wie die sich daraus ergebenden Konflikte die Republik verändern. Denn wie sich die Zugewanderten innerhalb der Belegschaft integriert haben und wie sie von Kollegen aufgenommen und von den Kunden behandelt worden sind, sagt viel aus über Deutschland, das mit der Coronakrise zweifellos vor einer Jahrhundertherausforderung steht, das aber durch die Aufnahme der vielen Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 wahrscheinlich sogar noch nachhaltiger geprägt worden ist.

Zu dieser soziologischen Betrachtung gehört auch, dass es in der Belegschaft des Autohauses ebenso wie unter den manchen Kunden des Unternehmens Vorurteile gegenüber den Zugewanderten gegeben hat und gibt. Zwar beteuert mit Alaa Al-Qubanchee neben Gamil ein weiterer Flüchtling, der seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat und heute noch für das Autohaus arbeitet, er habe »nie Probleme« im Unternehmen gehabt. Doch Peter selbst ebenso wie auch Tölle sprechen offen darüber, dass es freilich auch unter Mitarbeitern und Kunden Männer und Frauen gegeben hat und gibt, die lieber nichts mit ihnen zu tun haben möchten. Im Jahr 2016 sei das so gewesen und heute sei das noch genauso, sagen sie.

Dabei ist es bemerkenswert, wie sich diese Vorbehalte und die Menschen, die sie in sich tragen, in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Zwar lautet eine der zentralen Thesen etwa von Migrantenverbänden oder Flüchtlingsorganisationen, dass durch Begegnungen zwischen Deutschen und Migranten in Unternehmen, in Schulen, in Kindergärten, in Sportvereinen, in der Nachbarschaft die bestehenden Vorurteile mit der Zeit abgebaut würden. Nachdem, was Peter und Tölle in ihrem Unternehmen beobachtet haben, stimmt das allerdings nur zum Teil.

Auch die Studie eines Forscherteams aus Mannheim, Berlin und New York, die vor einigen Wochen erschienen ist, untermauert diesen Eindruck. Wissenschaftler haben untersucht, inwieweit das gesellschaftliche Klima in ostdeutschen Dörfern und Kleinstädten, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, von der Stimmung in ostdeutschen Dörfern und Kleinstädten abweicht, in denen das nicht der Fall ist. Sie kamen zu dem Schluss, dass die ausländerfeindlichen Einstellungen sich weder hier noch dort nennenswert verändert haben. Es ist demnach also unerheblich, wie viel Kontakt zwischen Alteingesessenen und Zugewanderten besteht.

Auch Tölle berichtet von recht unterschiedlichen Reaktionen in dem Autohaus auf die Auszubildenden in dem Pilotprojekt. Es habe Mitarbeiter gegeben, die in dem Zuge, wie sich Zahl der Zugewanderten verringert hat, auch die Vorbehalte ihnen gegenüber weniger geworden seien; andere hätten allerdings erst dann begonnen, Ressentiments zu entwickeln, und noch andere hätten sich in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Fremden bestätigt gefühlt.

Peter spitzt das noch zu: »Diejenigen, die etwas gegen Ausländer haben, wollen unbedingt glauben, sie hätten recht.« Gleichzeitig macht er immer wieder klar, dass er Anfeindungen einem Teil seiner Beschäftigten gegenüber nicht duldet, auch wenn er weiß, dass er sie nicht per Arbeitsanweisung völlig beseitigen kann.

Für Peter ist der betriebswirtschaftliche und soziologische Pilotversuch in Nordhausen mittlerweile abgeschlossen und hinreichend bilanziert worden. Interessant wird es aber sein, den weiteren Lebensweg der drei im Unternehmen verbliebenen Teilnehmer zu beobachten. Al-Qubanchee zum Beispiel hat sich fest vorgenommen, noch seinen Meister zu machen, was angesichts so mancher Sprachhürden für ihn noch viel schwieriger werden dürfte als der Abschluss seiner Ausbildung.

Denn auch das hat dieser Pilotversuch unterstrichen: Sprache ist und bleibt der Schlüssel für eine gelungene Integration. Um die sechs Lehrlinge überhaupt durch die Prüfung zu bekommen, dafür hat Tölle mit ihnen vor den Prüfungsterminen wochenlang geübt; vor allem die Fachsprache, in der die Prüfungsaufgaben verfasst sind und die selbst so manchen Mutterspachler ratlos zurücklässt. Ohne diese Übungen wären es ganz sicher weniger als sechs aus fünfzehn geworden. Und weniger als drei aus fünfzehn, die jetzt noch im Autohaus Peter beschäftigt sind.

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