Widerstand gegen die Trumpisten

Black Lives Matter hat sich zur größten Protestbewegung in der US-Geschichte entwickelt

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Montag wurde der Polizist Adam Coy nach 19 Jahren Dienstzeit aus der Behörde in Columbus im Bundesstaat geworfen. Er hatte acht Tage zuvor den Schwarzen Andre Hill nachts vor einer Garage erschossen. Das Opfer war unbewaffnet und hielt ein erleuchtetes Smartphone in der Hand. Das enthüllte Coys Bodycam. Ebenfalls darauf zu sehen war, dass Coy und eine Kollegin dem am Boden liegenden, verblutenden Mann fünf Minuten lang keine erste Hilfe leisteten. Gegen den entlassenen Cop ermitteln nun die Behörden des Staates Ohio.

Dass es innerhalb einer Woche zum Rausschmiss des Polizisten kam, wäre vor den Black-Lives-Matter-Protesten gegen die Ermordung von George Floyd kaum denkbar gewesen. Die Bewegung hat sich vom späten Frühjahr an in sämtliche Bundesstaaten und in kleinste Ortschaften verbreitet. Die Beweismittel - Videos von umstehenden Zeugen und Aufnahmen von Bodycams - sowie die Bereitschaft der Medien, sie zu verbreiten, tun das ihre dazu, um rassistische Polizeigewalt ins Scheinwerferlicht zu rücken.

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Seit Anfang des Monats erschüttert eine weitere Tötung, begangen von einem weißen Polizisten an einem Schwarzen Mann, die Region von Columbus. Am 4. Dezember hatte Jason Meade den jungen Casey Goodson Jr. am Rande einer Hausdurchsuchung erschossen. Die genaueren Umstände sind noch ungeklärt. Angeblich trug keiner der Polizisten eine Bodycam. Jedenfalls fanden Black-Lives-Matter-Aktivisten, die in der Biographie des Killers recherchierten, eine enthüllende Aufnahme. Darauf ist der Polizist, der Anhänger einer rechten christlichen Kirchengemeinde ist, bei einer Rede zu sehen, in der er offen über seine Berufung spricht. »Ich arbeite im Büro des Sheriffs (...). Ich jage Leute. Es ist ein großartiger Beruf. Ich liebe ihn«, sagt Meade. »Vor langer Zeit lernte ich, dass man als erster zuschlagen muss.« Meade wurde freigestellt, erhält aber weiterhin volles Gehalt, solange die Ermittlungen laufen. Black-Lives-Matter-Aktivisten demonstrierten lautstark erstmals direkt vor der rechten Kirche, in welcher der Polizist auch Pastor war. Die Donald-Trump-Hochburg (der abgewählte US-Präsident hatte dort im November 69,7 Prozent der Stimmen erhalten) befindet sich auf dem Land, 50 Kilometer vom liberalen Columbus entfernt. Black Lives Matter (BLM) hat keine Furcht mehr, sich den Trumpisten entgegenzustellen.

Zwischen dem 24. Mai und dem Spätsommer gab es in den USA mehr als 10 600 BLM-Demonstrationen mit einer geschätzten Teilnehmerzahl zwischen 15 und 26 Millionen. Damit ist BLM zur größten Protestbewegung in der Geschichte der USA geworden. Gemessen an den Ansprüchen, mit denen die 2013 entstandene Bewegung aufbrach, sind ihre Ergebnisse aber eher durchwachsen. »Defund the Police«, das heißt die Umschichtung von Haushaltsgeldern von Polizeibehörden hin zu sozialen Projekten, konnte bisher nur wenig Wirkung entfalten. Eine Stadtratsmehrheit von Minneapolis, wo George Floyd umgebracht wurde, hatte im späten Frühjahr versprochen, die Polizei aufzulösen und nach Alternativen zu suchen. Als die Proteste abklangen und der Stadtrat über das neue Jahresbudget verhandelte, war es mit der Radikalität schnell vorbei. Die Reduzierung der Polizeistärke um gut 15 Prozent, wie später vorgesehen, kam nicht durch. Auch der Bürgermeister, der sieben Prozent des Polizeibudgets umschichten wollte, scheiterte. Stattdessen wurde beschlossen, nur 8 Millionen des 179 Millionen betragenden Haushalts für die Polizei zu kürzen, also 4,5 Prozent. Das Geld wird in das Office of Violence Prevention fließen, in die Einrichtung eines Teams von Psychologen und Sozialarbeitern sowie an Stadtangestellte, die - statt wie bisher die Polizei - Beschwerden minderer Schwere entgegennehmen und darauf reagieren.

Eine Mehrheit im Stadtrat war dem Argument gefolgt, die Stadt drohe im Chaos zu versinken. Denn fast 200 der 900 Polizeibeamten zogen sich 2020 vom Dienst zurück, teilweise wegen Überlastung. Gleichzeitig gingen die Schusswaffendelikte und allgemeine Kriminalität - teils wegen Corona und der Wirtschaftskrise - nach oben. Ältere Black-Lives-Matter-Aktivisten versuchen den enttäuschten jüngeren zu erklären, es handele sich dennoch um einen Erfolg. Veränderungen könnten nicht über Nacht erfolgen. Es werde Jahre dauern, ein System umzustoßen, die seit vielen Generationen in Kraft ist.

In vielen lokalen Verwaltungen spielt »Defund the Police« eine Rolle bei Budgetverhandlungen. Die kalifornischen Metropolen Los Angeles und San Francisco sowie das texanische Austin und Denver in Colorado kürzten ihre Polizeihaushalte jeweils um etwa zehn Prozent, um die abgezweigten Gelder in Community-Programme zu investieren. Für Los Angeles bedeutet das 150 Millionen Dollar, für San Francisco mehr als 60 Millionen Dollar, für Denver 50 Millionen.

Einige Kürzungen haben allerdings nichts mit Black Lives Matter, sondern mit der desolaten Situation in den kommunalen Kassen zu tun, nicht zuletzt weil die Steuereinnahmen Corona-bedingt drastisch zurückgingen. Zudem hat der US-Kongress Kommunen im jüngst verabschiedeten Stimuluspaket Zusatzhilfen verweigert. Polizeichefs und konservative Gouverneure wehren sich erfolgreich gegen Reformen, die Gelder für die Polizei in soziale Projekte umleiten würden. Denn sie haben die Macht, kommunale Reformen wieder rückgängig zu machen. Als die Stadt Austin einen Budgetschnitt von 30 Prozent beschloss, drohte der Republikaner-Gouverneur Greg Abbott, die örtliche Polizeibehörde staatlicherseits einfach zu übernehmen.

Ein weiterer Erfolg, den die Black-Lives-Matter-Bewegung verbuchen kann, ist die wachsende Zahl progressiv-liberaler Bezirksstaatsanwälte, die in den USA gewählt werden. Sie stellen zwar das System der Strafverfolgung nicht in Frage, aber sie setzen Verfahrensreformen in Gang, die für viele vom Strafrecht Betroffene existenziell sind. George Gascon, der neue Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles mit dem US-weit größten Gefängnissystem, gab jüngst die Weisung heraus, Tausende von Fälle neu zu untersuchen, um Gerichte zu Strafminderungen oder zu Freisprüchen zu bewegen. Außerdem kündigte er an, für niemanden mehr die Todesstrafe anzustreben. In Philadelphia macht Bezirksstaatsanwalt Larry Krasner von sich reden. Im Oktober warnte er Trump vor der Einmischung in die Wahlen. Er werde Trumps selbst ernannte Wahlbeobachter festnehmen lassen. Auch in Texas, Georgia, Michigan, Ohio und Florida werden liberale Bezirksstaatsanwälte aktiv. Ein Teil von ihnen wurde im Wahlkampf von BLM unterstützt.

Die Geschichte von Black Lives Matter ist noch lange nicht geschrieben. In der Wirtschafts- und Gesundheitskrise wird sich erweisen, wie weit ihre Schlagkraft reichen kann. Ab dem 1. Februar stehen Zehntausende Zwangsräumungen an, die wegen des strukturellen Rassismus überdurchschnittlich vielen Schwarzen Familien drohen. BLM-Aktivisten haben sich darauf vorbereitet.

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