Plötzlich ein Schlüsselspieler

Johannes Golla ist vor der Handball-WM unverhofft zum Abwehrchef aufgestiegen

  • Michael Wilkening, Neuss
  • Lesedauer: 3 Min.

Johannes Golla ist es zuletzt nicht schwindelig geworden, und das ist eine gute Nachricht für die deutsche Handball-Nationalmannschaft. Angesichts der immensen Karriereschritte, die der 23-Jährige zuletzt gemacht hat, wäre es denkbar gewesen, dass Golla aus dem Gleichgewicht gerät. Doch gerade das wäre ein GAU für die deutschen Handballer gewesen, denn niemand wird vor der Weltmeisterschaft in Ägypten dringender benötigt als der Kreisläufer der SG Flensburg-Handewitt. »Er ist von der Nummer vier zur Nummer eins aufgestiegen«, sagte Bundestrainer Alfred Gislason und räumte gleichzeitig ein, den gebürtigen Wiesbadener als einzigen Spieler aus seinem aktuellen Kader für nicht ersetzbar zu halten.

Der steile Aufstieg Gollas ist nicht in dessen zweifellos starken Leistungen im Klub begründet, sondern vielmehr in der Abstinenz anderer. Innerhalb weniger Wochen ist der Flensburger vom Hoffnungsträger zum Schlüsselspieler für die Nationalmannschaft geworden, weil mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek (beide THW Kiel) und Jannik Kohlbacher (Rhein-Neckar Löwen) drei etablierte Kreisläufer bei der WM in Nordafrika nicht dabei sein werden. Besonders das Fehlen des Kieler Duos hat im Umfeld der Auswahl des Deutschen Handballbundes für Unbehagen gesorgt, weil sie in den vergangenen Jahren den Innenblock und damit das Herz der Defensive bildeten.

Die deutschen Handballer werden bei den globalen Titelkämpfen nur erfolgreich sein, wenn sie sich auf eine stabile und wirkungsvolle Defensive verlassen können - und dabei wird Golla eine zentrale Rolle zukommen. Gemeinsam mit Sebastian Firnhaber soll er in der Abwehrzentrale verteidigen und weil der Erlanger gerade erst seine Länderspielpremiere feierte, ist Golla als Anführer gefordert. »In der Mitte muss man ohnehin viel sprechen und ich bin bereit für diese Aufgabe«, sagt Golla, der erst vor seinem zweiten internationalen Großeinsatz steht. Bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr rückte er während des Turniers in den Kader und sammelte fortan im Schatten der etablierteren Kreisläufer erste Erfahrungen - in Ägypten muss Golla bereits in eine Führungsrolle schlüpfen.

Die Fähigkeiten dazu besitzt er, denn durch seinen Wechsel im Sommer 2019 von der MT Melsungen zur SG Flensburg-Handewitt hat das Kraftpaket einen bemerkenswerten Leistungsschub vollbracht. »Ich denke, das wäre ohne den Wechsel nach Flensburg nicht möglich gewesen«, erklärt Golla. Durch Einsätze in der Champions League und den Kampf um die Meisterschaft entwickelte sich der Kreisläufer zu einem Spieler von internationalem Format.

Klar ist, dass sich das Abwehrspiel der deutschen Mannschaft verändern muss. Golla und Firnhaber sollen ihre Aufgabe etwas offensiver und aggressiver interpretieren als ihre Vorgänger, weil ihnen ein paar Zentimeter Körperlänge zum Duo Pekeler/Wiencek fehlen. Das Blockspiel kann deshalb nicht auf dem gleichen Niveau sein, so dass Golla/Firnhaber die Angreifer schlicht etwas weiter vom Tor weghalten müssen. »Mir kommt das entgegen, ich bin in meiner Spielweise ein aggressiver Verteidiger«, sagt Golla, der im Gespräch entschlossen wirkt und ob der neuen Rolle keine Nervosität erkennen lässt.

Das ist bemerkenswert, weil der Kreisläufer natürlich weiß, dass er mit seinen Nebenleuten vor einer heiklen Aufgabe steht. Besonders bei einer offensiven Interpretation der Defensivarbeit ist Erfahrung wichtig - und eben die fehlt dem neuformierten Gebilde. »Wir müssen viele Absprachen treffen und die Stärken des Kollegen kennenlernen«, umschreibt Golla die Anforderungen für die nahe Zukunft. Spätestens im dritten Vorrundenspiel in Ägypten gegen Ungarn muss die Weiterentwicklung weit vorangeschritten sein. »Das ist eine europäische Top-Mannschaft, da werden wir voll gefordert«, ist sich der Kreisläufer sicher.

Angst hat der gebürtige Wiesbadener vor den Aufgaben gegen Spitzen-Mannschaften aber längst keine mehr. In Flensburg hat er sich und anderen schon bewiesen, dass er auf höchstem Niveau mithalten kann. Ab sofort will er es nun als Schlüsselspieler in der Nationalmannschaft tun.

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