So amerikanisch wie Apfelkuchen

Ob der Sturm auf das Kapitol ein Putschversuch war, ist nicht die entscheidende Frage, sagt Ethan Earle

  • Ethan Earle
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Attacke auf das US-Kapitol am Mittwoch markiert den Höhepunkt von vier Jahren der Politik Donald Trumps, von Spaltung, Lügen und Rassismus, von grölender Gefolgschaft für einen verrückten König. Sichtbar verängstigte Abgeordnete erklärten, die Situation zeige die USA als Bananenrepublik. Aber, man darf sich da keiner Täuschung hingeben, die Stürmung des Kapitols war so amerikanisch wie Apfelkuchen. Sie war so amerikanisch wie das Electoral-College-System, das einst Afroamerikaner nur als Dreiviertel-Menschen zählte; so amerikanisch wie die 74 Millionen Menschen, die für einen Präsidenten gestimmt haben, der die Injektion von Bleichmittel gegen ein Virus propagiert hatte, das am selben Mittwoch eine Rekordzahl von beinahe 4000 Amerikanern tötete.

Viele debattierten in den Stunden nach der Attacke, ob das, was passiert war, ein versuchter Staatsstreich war oder nicht, aber das ist die falsche Frage. Präsident Trump hatte Tausende seiner Anhänger mobilisiert, um gegen die Zertifizierung des Wahlsieges von Joe Biden zu protestieren, wiegelte sie dann mit aufrührerischer Rhetorik auf. Feuer zeugt Feuer - am Ende der Kundgebung rief er dazu auf, die Pennsylvania Avenue hinunterzumarschieren, um den Republikaner-Abgeordneten im Kapitol »den nötigen Stolz und die Kühnheit zu geben, die sie brauchen, um unser Land zurückzuholen«. Das ist ein Fakt. Der Präsident kommandierte damit locker verbundene Milizen, die er jahrelang kultiviert und gehätschelt hatte, das Kapitol zu stürmen, das Herz der amerikanischen Demokratie. Dort überrannten Trumps Fußtruppen die Sicherheitskräfte, besetzten Senatsbüros und für eine kurze Zeit auch den Plenarsaal. Auch das ist ein Fakt.

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Ob dies nun den Anforderungen an einen Staatsstreich genügt, Volksverhetzung ist oder aufrührerisches Verhalten, vielleicht nur Randale an einem besonders prominenten Ort, das sollte als semantische Debatte Akademikern überlassen werden. Wie auch immer wir das nennen, was am Mittwoch passiert ist, es zeigt eine direkte Bedrohung der Demokratie in den Vereinigten Staaten. Es geht dabei nicht um Mittwoch - die buntgescheckte Truppe von Clowns, die ins Kapitol eindrang, hätte niemals das Wahlergebnis rückgängig machen können, zumindest nicht jetzt und nicht in naher Zukunft.

Als Trump in einer Videobotschaft seine Handlanger zurückrief, versäumte er es nicht, sie auch zu loben - er unterstrich die Rechtschaffenheit ihrer »Ängste« sowie die »Widerwärtigkeit« der gemeinsamen »Feinde«, und er schloss seine Botschaft mit einer drohenden Suggestion ab: Der Rückzug sei nur temporär, sie würden zurückkommen; und dass er und seine Bewegung, wie Trump früher am Tag gesagt hatte, »niemals« die Wahlniederlage anerkennen würden.

Trump hat 2020 rund 12 Millionen mehr Stimmen erhalten als noch 2016. Mehr als jede andere politische Figur in der modernen Geschichte des Landes hat er dafür gesorgt, die Demokratie zu schwächen, die Demokratie zu schwächen, die schon seit Gründung der Republik unter dem Gewicht ihrer Widersprüche taumelte. Er kommandiert weiterhin eine große Gruppe von Abgeordneten im US-Kongress, die bereit ist, sich an einem legislativen oder juristischen Staatsstreich zu beteiligen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Diese Schocktruppen werden weiter innerhalb und außerhalb des Parlaments für ihre Sache agitieren. Selbst die rechte Clown-Armee könnte vor oder nach der Amtseinführung von Joe Biden am 20. Januar zurückkehren.

Die politischen Institutionen in den USA sind offenbar gerade stark genug, um diesem Angriff standzuhalten, bis Joe Biden als neuer Präsident die Amtsgeschäfte übernimmt. Doch am Tag danach wird - wie so oft - der echte Kampf mit der Trumpisten-Bewegung starten. Eine verwundete revanchistische Bewegung ist noch gefährlicher. Was ist die richtige Balance zwischen Bestrafung und Aussöhnung mit dieser besiegten, aber großen Armee? Welche Lehren sollten die politische Klasse und ihre »Experten« ziehen? Wie haben die Demokratische Partei und andere Establishment-Institutionen dazu beigetragen, dass der Nihilismus des Trumpismus so tiefe und breite Wurzeln in der politischen Kultur der USA schlagen konnte? Und zuletzt: Welches positive politische Programm könnte die legitime Wut einer Arbeiterklasse aufgreifen, die sich sowohl von Republikanern als auch Demokraten verlassen und verraten fühlt, ohne die dunklen reaktionären Geister zu stärken, die Trump erweckt hat? Diese Fragen sollte sich jetzt jeder stellen - in den USA und überall, wo die Trompeten des Trumpismus widerhallen. Die richtigen Antworten zu finden, wird darüber entscheiden, ob es gelingt, das breitere rechte Projekt einer permanenten Minderheitenherrschaft zu verhindern.

Ethan Earle ist politischer Berater und Mitglied im internationalen Komitee der Democratic Socialists of America (DSA). Übersetzung: Moritz Wichmann

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