Eine Dame von Welt

Ihre musikalische Neugier geht sehr weit: Caterina Valente wird 90 Jahre alt

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.

Das war’s dann mit Auslandsreisen! Bis zum 8. Mai 1945 hatten die Deutschen und ihre faschistischen Soldaten im Ausland Mord und Schrecken verbreitet. Nun endete dieser Panzer-Tourismus. Fortan ging der Blick zwangsweise nach innen - dahin, wo ein zerstörtes Land wiederaufgebaut werden musste. An Urlaub bei europäischen Nachbarn war auf absehbare Zeit nicht zu denken.

Was blieb, war die Sehnsucht. Denn das hatten selbst die eingefleischtesten Nazis erkennen müssen: dass die Menschen westlich des Rheins und südlich der Isar besser zu leben verstanden als im kargen, spartanischen Teutonien. Amour und Amore statt Arbeitsdienst und Amtsstube. Wenn man schon kein Ticket zum Savoir-vivre oder Dolce Vita buchen konnte, dann wollte man wenigstens in Gedanken auf Reisen gehen.

Dabei halfen - hüben wie drüben - Schlagersänger. Bereits kurz nach Kriegsende wurde der 1943 komponierte Evergreen »Capri-Fischer« mit großem Erfolg neu aufgelegt. Kurt Reimann (sowjetische Besatzungszone) und Rudi Schuricke (westalliierte Besatzungszonen) befeuerten systemübergreifend das Fernweh der Deutschen. Es waren dabei nicht nur Sonnenuntergänge am Meer, die Italien als Sehnsuchtsland prädestinierten. Gegenüber dem ehemaligen Kriegsverbündeten brauchten die Deutschen anscheinend kein schlechtes Gewissen zu haben.

Vorhang auf für Caterina Valente! Die Frau, auf die die Wirtschaftswunder-Bundesrepublik gewartet hatte. Eine Italienerin, als Tochter von Zirkuskünstlern in Paris geboren und aufgewachsen - das setzte das Kopfkino in Gang.

Zugleich verband Valente einiges mit Deutschland: Ihr erster Bühnenauftritt findet 1936 im Stuttgarter Varietétheater Friedrichsbau statt; da ist sie gerade mal fünf Jahre alt. Und als sie 1952 den Jongleur Gerd Scholz heiratet, ist dies auch ihre Eintrittskarte in die Welt des deutschen Schlagers. Fortan lässt Scholz Keulen und Bälle ruhen und bringt stattdessen die Karriere seiner Gattin in Bewegung.

In Kurt Feltz findet Caterina Valente einen lyrischen Partner, der sie per Schlager den Erdball bereisen lässt. In seinen Texten schickt er sie nach Italien (»Amadeo, ich will warten«), Frankreich (»Bonjour, Kathrin«), Argentinien (»Gaucho«), Kuba (»Spiel noch einmal für mich, Habanero«), Haiti (»Haiti Cherie«), in den Wilden Westen (»Frag mich nie, was Heimweh ist«) und sogar in Fantasieländer wie Balonesien (»O Mama, O Mama, O Mamajo«).

Mit der Geografie nimmt es Feltz dabei nicht allzu genau. Den afrokaribischen Tanz Calypso verfrachtet er kurzerhand nach Mexiko (»Tipitipitipso, beim Calypso sind dann alle wieder froh im schönen Mexiko«). Auch andere Texter zeigen keine Skrupel, um holpriger Reime willen jede Logik fahren zu lassen. Doch stören sich die Zuhörer der 50er Jahre nicht an Zeilen wie: »Nimm dich in Acht vor der Damenwelt in Chile und zeige nicht deine wirklichen Gefühle.« Wo man von Fernreisen nur träumte, waren Fakten Nebensache.

So tat sich in Caterina Valentes Schlagern auf skurrile Weise die große, weite Welt auf. Und manchmal wurden auch Erinnerungen geweckt. So mancher frühere Soldat dachte bei »Ganz Paris träumt von der Liebe« (1954) an jene Zeit zurück, in der die Deutschen die französische Hauptstadt wie ein Wehrmachtsbordell behandelt hatten. Zugleich jedoch wiesen solche Lieder in die Zukunft. Jüngeren Deutschen, die ihre Kindheit zwischen Luftschutzbunker und Trümmerlandschaft verbracht hatten, eröffneten sich in Schlagern neue, hoffnungsfrohe Perspektiven.

Niemand konnte diese Zuversicht besser verkörpern als Caterina Valente. Denn sie, die sechs Sprachen fließend beherrschte, überquerte all jene Grenzen ja nicht nur in ihren Schlagern, sondern auch im realen Leben. Sie war bereits Kosmopolitin, als man das Wort noch nicht kannte. Ende der 40er sang sie in Paris Chansons, die Gilbert Bécaud für sie geschrieben hatte. In den 50ern, als ihre Schlager die westdeutschen Hitlisten dominierten, streckte sie zugleich ihre Fühler in die Welt des Jazz aus - sie sang erst im Orchester von Kurt Edelhagen und spielte dann mit dem Trompeter Chet Baker zwei Singles ein sowie in New York ein Big-Band-Album.

Ja, ihre musikalische Neugier ging so weit, dass sie, die Europäerin, Anfang der 60er die brasilianische Musik entdeckte, sich mit Astrud Gilberto und Antonio Carlos Jobim anfreundete und mit dem »Orfeu Negro«-Komponisten Luiz Bonfá ein Bossa-Nova-Album aufnahm. Da wundert es schon nicht mehr, dass einer ihrer Songs (»La strada dell’amore«) 1960 für den Grammy nominiert wurde und sie regelmäßig in US-amerikanischen Fernsehshows auftrat, unter anderem mit Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Bing Crosby und Dean Martin.

Hier stimmt die Floskel mal: Caterina Valente war auf den Bühnen der Welt zu Hause. Dies gelang ihr, weil sie, die Vagabundin, zugleich ein Chamäleon war. In einem Interview mit dem SZ-Magazin bekannte sie 2003: »Ich hatte zwar überall die gleiche Stimme, aber ich war eine andere Entertainerin. Weil die Mentalität anders ist. Mein Ziel war, die Lieder so zu interpretieren, wie das Publikum sie hören möchte - und nicht, wie ich möchte. Man muss erkennen, was das Publikum von einem verlangt.«

Dazu passt, dass sie in einem Fragebogen als Lieblingstugend »Arbeit« und als Hauptcharakterzug »Selbstdisziplin« angab. Showbiz als harte Maloche. Heute feiert die Frau, die seit ihrer Kindheit musikalische Völkerverständigung betrieb, ihren 90. Geburtstag. Cheerio, Mrs. Valente!

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