Moralische Abdankung

Linke und linksalternative Politiker lehnen einen Vergleich mit dem Haus Hohenzollern ab

Am 28. November 1918 dankte Kaiser Wilhelm II. ab. Damit endete in Deutschland die Monarchie. Doch Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter glaubt, die Erben des Kaisers aus dem Haus Hohenzollern müssten nun auch noch »moralisch abdanken« - wenn sich vor Gericht herausstellen sollte, dass sie keinen Anspruch auf eine Entschädigung von 1,2 Millionen Euro haben. Diese Summe war ihnen für nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten Besitz von mehreren Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen schon in Aussicht gestellt. Doch 2014 verhinderte Brandenburgs damaliger Finanzminister Christian Görke (Linke) die Auszahlung. Er veranlasste einen abschlägigen Bescheid auf die bereits 1991 von Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1907-1994) beantragte Entschädigung.

Begründung: Kronprinz Wilhelm von Preußen (1882-1951) soll den Faschisten erheblichen Vorschub geleistet haben. Wäre das wirklich so, dann wäre die entschädigungslose Enteignung schwer zu beanstanden.

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2014 begann Finanzminister Görke seinen langwierigen Streit mit Georg Friedrich Prinz von Preußen, dem aktuellen Oberhaupt des Hauses Hohenzollern. Dabei geht es längst nicht nur ums Geld, sondern auch um die Ehre der Familie und um die Bewertung historischer Ereignisse. Wobei die neue Finanzministerin Katrin Lange (SPD) einen anderen Kurs einschlug. Von einem hitzigen Streit kann nun nicht mehr die Rede sein. Stattdessen wird nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht. Die Chancen, dass man sich gütlich einigt, stehen nach Auskunft aus dem Haus Hohenzollern sehr gut.

Am Mittwochnachmittag befasste sich der Kulturausschuss des Landtags mit den Forderungen der Hohenzollern und mit den möglichen Auswirkungen auf die märkische Kulturlandschaft. Denn es dreht sich nicht allein um 1,2 Millionen Euro. Parallel verhandelt der Bund mit den Nachfahren des letzten deutschen Kaisers darüber, wem nun eigentlich zahlreiche Gemälde und andere Kunstschätze gehören, mit denen etliche staatliche Schlösser und Museen gefüllt sind.

Es gehe jedoch lediglich darum, Rechtssicherheit in den ungeklärten Eigentumsfragen zu schaffen, versichern die Hohenzollern. Es bestehe für die Museen keine Gefahr. »Prinz Georg Friedrich hat mehrfach das kulturelle Verantwortungsbewusstsein seiner Familie betont und festgestellt, dass er die Bestände, vor allem, wenn sie öffentlich ausgestellt sind, an den bisherigen Orten belassen möchte«, heißt es. Insofern stelle sich die Frage nach der Herausgabe berühmter Kunstwerke gar nicht. Die Behauptung, dass eventuell mindestens zwei Museen geschlossen werden müssen, entbehre »jeder sachlichen Grundlage«. Auch die Forderung nach einem Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof soll längst vom Tisch sein.

Trotzdem erwähnt die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke) eine solche Möglichkeit am Dienstagabend bei einer von ihrer Fraktion veranstalteten Diskussionsrunde. Dazu eingeladen ist der Historiker Christopher Clark, der ein Gutachten verfasste, auf das sich das Haus Hohenzollern berufen konnte. Denn Kronprinz Wilhelm habe den Nazis zwar Vorschub geleistet, aber nicht in erheblichem Maße, fasst Clark seine seinerzeit gewonnene Einsicht am Dienstag zusammen. Wilhelm sei ein »abgedankter Ex-Prinz« gewesen, ohne eigenes Netzwerk, ohne eine politische Bewegung hinter sich zu haben. Sein Name habe in der Weimarer Republik zwar in royalistischen Kreisen noch ein gewisses Gewicht besessen. Beliebt sei er in diesen Kreisen aber nicht gewesen - und wer sich als Monarchist wieder einen Kaiser wünschte, habe andere Hohenzollern im Auge gehabt als Kronprinz Wilhelm.

Inzwischen ist Clark nach eigener Auskunft zu einer anderen Einschätzung gelangt, nicht zuletzt auch deshalb, weil er und seine Historikerkollegen über den Mann mittlerweile viel mehr wissen als vor drei Jahren. Es habe 1932 die Idee gegeben, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg zugunsten von Kronprinz Wilhelm zurücktritt und dieser dann Adolf Hitler zum Reichskanzler macht. Aber: »Das Ding kam nie zustande.« Hindenburg habe das nicht gewollt, und Hitler glaubte, dass er der Hilfe des Kronprinzen nicht bedürfe, um an die Macht zu kommen. Als Hitler zum Kanzler ernannt wurde, sei der Kronprinz nicht beteiligt gewesen. Er habe dann aber 1933 eine wichtige Rolle bei der Einbindung der alten konservativen Oberschicht in die Propaganda der Faschisten gespielt - aber nicht allein. Der Kronprinz spielte diese Rolle, »wie viele, viele andere«. Das könne die Geschichtswissenschaft sagen, so Clark. Ob das jedoch genüge, eine Entschädigung und die Rückübertragung von Eigentum zu verhindern, sei eine juristische Frage. »Da sind die Historiker überfragt.«

Darum sollen bei der Diskussionsrunde die Politiker sagen, ob das Land Brandenburg einen Vergleich mit den Hohenzollern schließen oder es auf einen Prozess ankommen lassen sollte. Im Moment ruht das Verfahren. Der Potsdamer Stadtverordnete Carsten Linke und seine linksalternative Wählergruppe »Die Andere« sind gegen einen Vergleich, weil es ihnen darauf ankommt, die »Entschädigungsunwürdigkeit« der Hohenzollern gerichtlich feststellen zu lassen. Wie Linke sagt, würde die Wählergruppe dafür gern riskieren, dass die Museen das eine oder andere Gemälde verlieren, mit dem sich die Hohenzollern seiner Ansicht nach eh nur selbst inszenieren.

In diese Richtung zielt die Volksinitiative »Keine Geschenke den Hohenzollern«. Brandenburgs Linkspartei hatte im August 2019 begonnen, Unterschriften dafür zu sammeln. Wegen der Coronakrise wurde die normalerweise ein Jahr zu betragende Frist zur Abgabe der Listen zwei Mal um drei Monate verlängert. Doch am 7. Februar müssen nun wenigstens 20 000 gültige Unterschriften eingereicht werden, damit sich das Parlament mit dem Anliegen befasst. 18 500 Unterschriften liegen vor, sagt Linke-Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg. Da es erfahrungsgemäß eine ganze Reihe unvollständig ausgefüllter Spalten gibt und auch Leute unterschreiben, die nicht in Brandenburg wohnen, benötigt die Partei noch deutlich mehr als 1500 Unterstützer für ihre Volksinitiative.

In der Anhörung im Kulturausschuss des Landtags berichtet am Mittwoch Christoph Martin Vogtherr, um welche Kunstschätze es überhaupt geht. Der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten nennt Beispiele: Das Gemälde »Das Tabakskollegium« im Schloss Königs Wusterhausen, brasilianische Elfenbeinmöbel im Schloss Oranienburg. Unstreitig sei derweil, dass etwa Tapeten aus dem Schloss Rheinsberg den Hohenzollern gehören.

Winfried Süß vom Zentrum für Zeithistorische Forschung betont in der Anhörung: »Es gibt in dieser Frage keinen Historikerstreit.« Kronprinz Wilhelm habe »vielfach, beständig und keineswegs wirkungslos« die Nazis unterstützt und sie damit »geadelt«. Süß verlangt als Vorbedingung für Verhandlungen, dass die Hohenzollern alle Klagen gegen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten zurücknehmen.

Doch »niemand würde ein solches Druckmittel aus der Hand geben«, meint Rechtswissenschaftler Klaus Gärditz von der Universität Bonn. Das Verwaltungsgericht Potsdam könne bei seiner Urteilsfindung nicht ohne den Sachverstand der Historiker auskommen. Die Historiker könnten aber andererseits nicht ein Urteil in ihren Gutachten vorwegnehmen. Klaus Gärditz - und auch Juraprofessorin Sophie Schönberger - bescheinigen lediglich dem Historiker Stephan Malinowski, dieser sei in seinem Gutachten sehr gut auf die Rechtsprechung eingegangen. Schönberger hält das juristische Vorgehen gegen Wissenschaftler und Journalisten für geeignet, diese einzuschüchtern. Die Hohenzollern sagen, dass sie nur gegen falsche Tatsachenbehauptungen vorgehen. Ja, im »nd« sei Kronprinz Wilhelm mit Prinz August Wilhelm verwechselt worden, bestätigt Schönberger. Das »nd« hatte im Jahr 2019 den Politiker Sebastian Walter zitiert, der nicht beachtete, dass Prinz August Wilhelm in der SA war und nicht Kronprinz Wilhelm. Wie dies aber heute die Persönlichkeitsrechte von Georg Friedrich Prinz von Preußen verletzten solle, sei ihr schleierhaft, sagt Schönberger. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) stellt am Ende klar, dass sie mit niemandem verhandeln möchte, der Wissenschaftler mit Klagen überzieht.

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