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Halles Impflotterie

Dem Oberbürgermeister droht ein Disziplinarverfahren

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 3 Min.

Normalerweise dauern die täglichen Pressekonferenzen, in denen Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) über die aktuelle Coronalage in der Stadt referiert, nur wenige Minuten. In diesen Tagen aber ist alles anders: Der 63-Jährige, der seit 2012 im Amt ist, sieht sich massiven Vorwürfen gegenüber. Wie andere Politiker ist auch er bereits gegen das Coronavirus geimpft, obwohl er weder über 80 Jahre alt noch im medizinischen Bereich tätig ist, also nicht der höchsten Priorisierungsstufe angehört. Nun muss er womöglich keine Corona-Infektion mehr fürchten - aber um seinen Ruf kämpfen.

So hockt Wiegand nun täglich über eine Stunde vor der Kamera, um sich und seinen Impf-Sonderweg zu erklären. Denn nicht nur er, sondern auch mehrere Mitglieder des Stadtrats haben bereits eine Impfung erhalten. Nach Wiegands Darstellung ist es in Halle zu sogenannten Ad-hoc-Verfahren gekommen: Um zu verhindern, dass nicht genutzte Impfdosen - etwa wegen nicht wahrgenommener Termine - verfallen, seien zunächst impfberechtigte Personen angerufen worden. Erst wenn diese nicht erreichbar gewesen seien, habe man per Zufallsgenerator Personen aus der nachfolgenden Priorisierungsgruppe ausgewählt, etwa Rettungsdienstmitarbeiter, Fachärzte, Stadträte und Mitglieder des Katastrophenschutzstabs.

Am Montag nun kündigte Wiegand an, diesen Sonderweg auf Grundlage der neuen bundesweit geltenden Impfverordnung teilweise wieder aufzunehmen, nachdem er ihn wegen heftiger Kritik zwischenzeitlich gestoppt hatte. In dem Papier des Bundesgesundheitsministeriums heißt es, von der vorgesehenen Reihenfolge könne »in Einzelfällen abgewichen werden, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen (…) und zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist«. Wiegand sieht sich nachträglich bestätigt, wenngleich er diesen Weg bereits vor Inkrafttreten der aktuellen Verordnung - also ohne entsprechende Rechtsgrundlage - angewandt hatte. Allerdings, so der Oberbürgermeister, sollen Stadträte und Mitglieder des Katastrophenschutzstabes nach Einwand des Landesgesundheitsministeriums nun nicht mehr in den Genuss vorgezogener Impfungen kommen - wenngleich er selbst »eine andere Auffassung« als Ministerin Petra Grimm-Benne (SPD) habe und beide Organe aufgrund ihrer »Schlüsselstellung zur Aufrechterhaltung städtischer Funktionen« gern in seinem Zufallsgenerator behalten hätte.

Nun droht Wiegand allerdings weiteres Ungemach. Eine Sprecherin des Landesverwaltungsamts bestätigte gegenüber »nd« Meldungen, wonach sich die Behörde mit dem Fall beschäftigen wird. Das Amt ist für die Prüfung von Dienstvergehen bei Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte zuständig und kann bei Verdacht ein Disziplinarverfahren einleiten. Mögliche Disziplinarmaßnahmen sind Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung und Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Bei der Staatsanwaltschaft Halle seien zudem drei Anzeigen gegen Wiegand eingegangen, sagte ein Sprecher der Behörde am Montag. Die Einleitung eines Strafverfahrens gilt allerdings als unwahrscheinlich.

Die Linke-Stadtratsvorsitzende Katja Müller widersprach unterdessen der Behauptung Wiegands, er habe den Stadtrat umfassend über sein Vorgehen informiert: »Seine Aussagen, dass sowohl den Fraktionsvorsitzenden als auch dem Hauptausschuss das zu Recht in der Kritik stehende Ad-hoc-Impfverfahren vorgestellt und angeboten wurde, ist falsch«, schrieb Müller im Kurznachrichtendienst Twitter. Der OB habe lediglich erklärt, dass Stadträte sich in Priorisierungsgruppe 3 impfen lassen könnten. Wiegand selbst zeigt sich zunehmend gereizt, bezeichnet Nachfragen in Pressekonferenzen als »Verhör« und spricht von einer »Hexenjagd«.

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