»Ich habe Angst um die Zukunft meines Landes«

Der Aktivist Hla Myat Tun geht wie Tausende andere gegen die Putschregierung in Myanmar auf die Straße

  • Sarah Tekath
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie ist die aktuelle Lage in Myanmar?

Die Menschen in Myanmar protestieren im ganzen Land gegen die Militärregierung und die Diktatur. Niemand ist glücklich mit der aktuellen Situation, außer vielleicht Militärfamilien und Familien, die vom Militär unterstützt werden. Die Menschen hier sind wütend darüber, was in ihrem Land passiert. Unser Hauptziel ist es jetzt, die Militärdiktatur zu stürzen. Seit einigen Tagen zeigen die Demonstranten ihren Widerstand mit kreativen Aktionen, zum Beispiel mit Märschen in Brautkleidern. Die LGBT-Community veranstaltet Drag Shows und Drag-Märsche. So versuchen wir, möglichst viel Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und den Medien zu erreichen. Das haben wir von den Protestierenden in Hongkong und Thailand gelernt.

Hla Myat Tun

ist ein Menschenrechtsaktivist, der sich auf den Kampf für LGBT-Rechte, also die Rechte von queeren Menschen, fokussiert hat. Er arbeitet für die 2013 gegründete Organisation Colors Rainbow. Von der Nichtregierungsorganisation werden verschiedene Materialien wie zum Beispiel ein LGBT-Magazin herausgebracht, die sich an junge Erwachsene richten. Die Organisation bietet zudem Workshops an. Aus Colors Rainbow sind in den Folgejahren weitere Organisationen entstanden, wie &PROUD, die vor Ort ein LGBT-Filmfestival durchführt und zu der Hla Myat Tun ebenfalls gehört. Sarah Tekath hat den Aktivisten für »nd« via Messenger interviewt. Das Foto zeigt ihn bei den Demonstrationen gegen den Militärputsch in Yangon am Mittwoch. Landesweit haben sich an dem Tag erneut Zehntausende Menschen an Protesten gegen die Militärjunta beteiligt. Am Vortag hatte die Polizei noch mit Tränengas und Gummigeschossen die Menge auseinander getrieben. Seit Montag sind in den größten Städten Versammlungen mit mehr als fünf Menschen verboten.

Wie tritt die Polizei auf?

Wir haben alle gesehen, wie die Polizei und das Militär Gewalt angewendet haben. Am Dienstag wurde eine 19-Jährige von der Polizei erschossen. Auch in Mandalay ist die Polizei gegen die Demonstranten vorgegangen. Hier in Yangon hat das Militär in der vergangenen Nacht das Hauptquartier der NLD (Nationale Liga für Demokratie, die Partei der verhafteten Aung San Suu Kyi, d.Red.) in Shwe Gone Daing gestürmt und hat Computer, Akten und Festplatten beschlagnahmt.

Es ist aber noch nicht klar zu erkennen, was die Rolle der Polizei ist. Manche sagen, dass die Polizei direkt vom Militär gesteuert wird. Demnach provoziert das Militär jetzt bewusst Probleme zwischen der Polizei und der Öffentlichkeit. Sie spielen Spielchen. Aber heute Morgen hat sich eine Gruppe von Polizisten im Kayah State den Protesten angeschlossen. Ich denke, es werden sich bald noch viel mehr Polizisten an den Demonstrationen und unserer Kampagne des zivilen Ungehorsams beteiligen.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre eigene Sicherheit?

Ich mache mir nicht nur Sorgen um meine eigene Sicherheit, sondern auch um die Sicherheit sämtlicher Leute, die auf die Straße gehen. Ich habe Angst um die Zukunft meines Landes und dieser Generation. Ich habe fast mein ganzes Leben lang, für 30 Jahre, unter der Diktatur des Militärs gelebt. Ich hätte nie gedacht, dass ich dies in meinem Leben noch einmal erleben würde. Aber nun gibt es die Proteste, um das Militärregime zu besiegen und loszuwerden. Ich nehme daran teil und verteile Regenbogenflaggen, Masken und was die Protestierenden sonst noch so brauchen. Meine Freunde und ich nutzen unser eigenes Geld, um die Demonstranten zu unterstützen. Für uns ist das alles wie ein Alptraum. Ich wünschte wirklich, wir würden am Morgen aufwachen und alles wäre vorbei, aber leider ist das nicht so. Aber ich bin mir sicher, dass wir eines Tages gewinnen werden. Und zwar schon sehr bald.

Sind es vor allem junge Menschen, die protestieren?

Viele der Protestierenden sind sehr jung. Manche sind Teenager, die anderen in ihren Zwanzigern und Dreißigern. Ich würde sagen, dass sich vor allem die Generationen Y und Z sehr aktiv an den Demonstrationen beteiligen und dass sie dies auf besonders kreative Weise tun. Sie benutzen keinerlei Gewalt, zeigen aber sehr deutlich, dass sie mit der Situation nicht einverstanden sind. Viele von ihnen wurden aber auch in verschiedenen Städten verhaftet und ich fürchte, es werden in den nächsten Tagen mehr werden.

Auch Mitglieder der 88er Studentengruppen (1988 organisierten Studierende Proteste gegen die Militärdiktatur, die in Wahlen 1990 mündeten, die aber nie vom Militär anerkannt wurden, d.Red.) nehmen an den Protesten teil, stehen dabei aber nicht so stark in der Öffentlichkeit. Anders als damals haben wir keinen Organisator, der die Demonstrationen leitet. Wir ziehen uns alle einfach gegenseitig mit.

Besonders inspirierend ist es auch zu sehen, wie viele Eltern diese Teenager unterstützen. 1988 war das nicht so. Ich sehe auf Facebook viele herzerwärmende Fotos. Die Teenager gehen auf die Straße und die Eltern applaudieren ihnen. Auch die Ältesten unterstützen, dass die Jungen protestieren. Denn sie haben ja selbst erlebt, wie schlimm es in der Vergangenheit gewesen ist.

Ist es schwierig, Proteste zu organisieren?

Niemand übernimmt wirklich die Führung der Proteste in den Städten. Wir organisieren uns selbst über das Internet und Facebook. Am vergangenen Wochenende gab es aber für zwei Tage kein Internet. Also haben wir uns per SMS gegenseitig informiert und haben Leute zusammengetrommelt. Jetzt funktioniert das Internet wieder, aber wir wissen nicht, was das Militär als Nächstes tun kann und wird. Heute haben wir über Twitter erfahren, dass gestern fünf Flugzeuge aus China in Myanmar gelandet sind. Drei davon hatten IT-Techniker an Bord, die anderen beiden Cargo. Es scheint jetzt so, als würde China die Militärdiktatur unterstützen.

Aber ich denke, dass wir gewinnen werden. Vielleicht bin ich zu positiv, aber das ist, was wir glauben und hoffen. Wir kämpfen für unsere Rechte und wir kämpfen dafür, dieses Ziel zu erreichen.
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