Getäuscht und ausgebeutet

US-Gewerkschaften kämpfen gegen »Prop 22« und für Beschäftigte von Onlineplattformen

  • Tamara Kamatović
  • Lesedauer: 3 Min.

Während Gewerkschaften bei US-Onlineriesen wie Google und Amazon erste Organisierungserfolge einfahren, übernehmen traditionelle Unternehmen die arbeitnehmerfeindlichen Praktiken der Internetökonomie. So kündigte die US-Supermarktkette Albertsons jüngst an, dass sie ihren Online-Lieferservice an einen Dienstleister ausgliedern werde, der wiederum seine Angestellten nicht fest anstellt, sondern sie als rechtlich selbstständige Unternehmer*innen für sich arbeiten lässt. Zugute kommt dem Unternehmen dabei eine Gesetzesinitiative, die die Taxiplattformen Uber und Lyft vergangenes Jahr im US-Bundesstaat Kalifornien durchgeboxt haben.

Im November stimmten über 58 Prozent der Kalifornier*innen für die »Proposition 22«, kurz »Prop 22« - eine Verfassungsänderung, die ein Gesetz von 2019, das den arbeitsrechtlichen Status von Fahrer*innen bei Onlineplattformen sichern sollte, rückgängig macht und in der Folge Auslieferungsfahrer*innen als selbstständige Unternehmer*innen einstuft. Die Entscheidung von Albertsons weckt bei den Gewerkschaften Ängste, dass Unternehmen US-weit und spartenübergreifend arbeiterfeindliche Gesetze schaffen könnten. Kaliforniens »Prop 22« könnte somit zu einem Präzedenzfall werden, der eine neue Kategorie von entrechteten Arbeiter*innen schafft.

Die Internetfirmen warben in Kalifornien massiv für »Prop 22«. Uber, Lyft und Co. gaben insgesamt 205 Millionen US-Dollar (170 Millionen Euro) für Wahlwerbung aus. Die Gegner*innen von »Prop 22« - meist Gewerkschaften und andere Arbeitsrechtsorganisationen - konnten im Vergleich zu den Techfirmen nur ein Zehntel des Werbeetats aufbringen. Auch der neue US-Präsident Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris hatten Wähler*innen vor der Wahl aufgefordert, nicht für »Prop 22« zu stimmen. Gebracht hat es offenbar nichts.

Ihren Fahrer*innen machten die Techfirmen ihr Anliegen schmackhaft, indem sie ihnen Gesundheitsgutscheine und Lohnzuschläge versprachen. Auf den ersten Blick klang das Angebot nach einem guten Deal. Doch laut Cherri Murphy wurden die Wähler*innen und Arbeiter*innen der Onlineunternehmen getäuscht. Murphy arbeitet als Fahrerin bei Lyft im kalifornischen Oakland und engagiert sich bei Gig Workers Rising, einer Gruppe von Fahrer*innen, die sich für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen engagiert. Die Arbeiter*innen bei Uber, Lyft und Co. seien schon lang prekär beschäftigt, »Prop 22« sei der Versuch, dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, erklärt Murphy. So haben die Arbeiter*innen laut »Prop 22« keinen Anspruch auf die kalifornische Arbeitslosenversicherung oder bezahlte Krankentage. Auch gelten für sie weder der Mindestlohn noch durch Gewerkschaften ausgehandelte Tarifverträge. »40 Prozent der Wähler*innen bereuen im Nachhinein ihre Abstimmung und haben das Gefühl, betrogen worden zu sein«, berichtet die Aktivistin Murphy weiter.

Für die Beschäftigten hätte die Gesetzesänderung kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können, sagt Murphy: »Es ist grotesk, dass man mitten in einer Pandemie für eine Arbeitslosenversicherung kämpfen muss, während gierige Firmen nicht bereit sind, ihren Teil beizutragen.«

Murphy und ihre Mitstreiter*innen haben den Kampf aber noch nicht aufgegeben. Die Gewerkschaft Service Employees International Union (SEIU) will zusammen mit einer Gruppe von betroffenen Fahrer*innen »Prop 22« vor Gericht anfechten. Sie argumentieren, dass die Formulierungen des Gesetzesvorschlags missverständlich und irreführend gewesen seien. Auch seien die Wähler*innen über die Auswirkungen des Vorstoßes im Unklaren gehalten worden.

Die Wahl von Joe Biden zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten und das wachsende Bewusstsein in der Bevölkerung für die Notwendigkeit von Arbeitsrechten geben Murphy neue Hoffnung. »Wir haben Optionen«, sagt sie. Eine davon sei die Klage der Gewerkschaft SEIU. Auch sieht Murphy die Möglichkeit einer neuen Zusammenarbeit zwischen Graswurzelaktivist*innen und der neuen Administration. So feuerte Biden bereits den Leiter der US-Behörde für Arbeitsrecht und Gewerkschaften, Peter Robb. Dieser gilt als ausgemachter Gewerkschaftsgegner. Jedenfalls hat er viel dafür getan, um Rechte von Arbeitnehmer*innen einzuschränken.

»Wir kämpfen für die Würde und den Wert von Arbeiter*innen. Wir sind weit davon entfernt, uns geschlagen zu geben«, gibt sich die kalifornische Gewerkschaftsaktivistin kämpferisch.

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