Antirassismus für Weicheier

Alle schreiben sich »Vielfalt« auf die Fahnen. Doch wenn man genauer hinschaut wird klar, dass strukturell niemand etwas ändern will.

  • Sheila Mysorekar
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon beeindruckend, wer alles plötzlich Vielfalt für sich entdeckt. Unternehmen, Handwerkskammern und Fußballklubs. Alle feiern Vielfalt. Oder, wenn man sich als international und zukunftsgerichtet präsentieren möchte, dann heißt es »Diversity«.

Natürlich auch die Politik. Die SPD hat schon lange eine AG dazu; die FDP hat eine Diversity-Beauftragte, die sich um »unterschiedliche Lebensentwürfe« kümmert, und die AfD warnte im »Deutschlandkurier« mit dieser Schlagzeile: »Leitkultur der Vielfalt: Gottfried Curio (AfD) enthüllt die wahre Agenda von CDU-Chef Laschet.«

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

Ja, da ist Curio an was ganz Großem dran: Selbst die AfD kann nicht mehr ignorieren, dass Vielfalt der neue heiße Scheiß ist. Viele deutsche Unternehmen haben seit langem die »Charta der Vielfalt« unterzeichnet. Wer international Geschäfte machen möchte, hat auf seiner Homepage ein paar, naja, vielfältig aussehende Gesichter. Dasselbe gilt auch für Universitäten, die so tun, als seien ihre Lehrbeauftragten mit so abgefahrenen Dingen wie postkolonialen Theorien vertraut. Oder Medienhäuser, denen aufgefallen ist, dass der Kartoffelanteil ihrer Zielgruppe unter die 50-Prozent-Marke gerutscht ist.

Vielfalt schreiben sich gerade alle auf ihre Fahnen, um zu zeigen, dass sie ganz vorne mit dabei sind. Nur Andi Scheuer nicht, aber der hängt ja auch seit 1980 in einer Zeitschleife fest und versucht, sich den Weg ins 21. Jahrhundert freizufaxen.

Die Frage ist nur: Wer versteht was genau unter Vielfalt? Menschen mit internationaler Familiengeschichte, LGBTI*, neurodivers, multireligiös oder bedeutet es einfach »Bei uns arbeiten auch ein paar Frauen«? Wer Vielfalt ernst nimmt, muss in der eigenen Behörde oder im Unternehmen erst einmal nach klaren Kriterien untersuchen, wie die Belegschaft zusammengesetzt ist. Das wissen die meisten gar nicht. »Migrationshintergrund« ist nicht besonders aussagekräftig für Afrodeutsche der dritten Generation, »Mensch mit Rassismuserfahrung« oder Schwarze und People of Color (PoC) hingegen schon.

Aber da kommen wir genau an den Knackpunkt: Wollen Unternehmen, Behörden oder Redaktionen wirklich wissen, wie viele ihrer Angestellten diskriminiert werden und von wem? Dann müssten sie nämlich konkret etwas dagegen tun und strukturelle Veränderungen anstoßen. Huch, wie unangenehm!

Doch bei »Vielfalt« handelt es sich wohl eher um die desinfizierte Form von Antirassismus, weichgespült, häppchenweise serviert, tut niemandem weh. Wer nicht definiert, wie genau die Vielfalt in der betreffenden Behörde oder Unternehmen aussehen soll, wählt wahrscheinlich die einfachste Version. Also zum Beispiel: mehr weiße deutsche Frauen in Führungspositionen zu holen, was recht konsensfähig ist. Dann hat man was für Vielfalt getan und bleibt trotzdem noch unter sich.

Das zweite Problem: Wer keine konkreten Zielvorgaben macht, will gar nichts verändern, wie die freiwillige Frauenquote zeigt. Wenn man im Frankreich des 18. Jahrhundert auf die freiwillige Selbstverpflichtung des Adels gewartet hätte, doch bitte etwas mehr für die soziale Gerechtigkeit zu tun, wäre aus der französischen Revolution nichts geworden.

Ohne konkrete und überprüfbare Zielvorgaben geht es nicht – und möglichst mit Sanktionen bei Nichterfüllung. An diesem Punkt merkt man sofort, wer wirklich Diversity will und wer nicht. Die Jungen Liberalen etwa möchten keine verbindliche Vorgabe für die Anzahl der Frauen in ihren Bundes- und Landesvorständen haben. Nicht mal für Frauen! Die kriegen einen Herzinfarkt, wenn ethnische oder religiöse Minderheiten eine Quote fordern.

Deutschland ist in jeder Hinsicht eine vielfältige Gesellschaft. Wenn sich das auch in Personalpolitik widerspiegeln soll, müssen wir uns mit Rassismus und fehlender Chancengleichheit auseinandersetzen. Denn das ist die Lebensrealität vieler Menschen. Natürlich ist Repräsentation keine Garantie dafür, dass Rassismus abgebaut wird; allerdings ist mangelnde Repräsentation garantiert ein Zeichen für rassistische Strukturen. Genau da müssen wir ansetzen. Und nicht mehr locker lassen.

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