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Im Hamsterrad der Abwehrkämpfe

Die Verdrängung soziokultureller Orte in Berlin geht auch unter Rot-Rot-Grün weiter

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Räumungsbilanz von Rot-Rot-Grün kann sich sehen lassen, muss man böse sagen«, konstatiert Elisabeth Steffen vom linken Clubkollektiv »About Blank« in Berlin-Friedrichshain. Tatsächlich wurden in den Regierungsjahren der Koalition seit 2016 die Nutzer einiger linker Treffpunkte und Wohnorte auf Antrag der Eigentümer durch die Polizei aus ihren Räumlichkeiten vertrieben. Die Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« oder das queerfeministische Hausprojekt »Liebig34« in Friedrichshain gehören dazu.

Dem selbstverwalteten Schöneberger Jugendclub »Potse« steht dieses Schicksal laut dem Tempelhof-Schöneberger Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) bald bevor. Nach Auslaufen des Mietvertrags Ende 2018 übergab der im selben Gebäude sitzende Jugendclub »Drugstore« die Schlüssel an den Bezirk, die Aktivisten der »Potse« halten das Gebäude weiter besetzt. Der Bezirk droht mit hohen Schadenersatzforderungen. »Warum will uns Rot-Rot-Grün lieber räumen, als uns Räume zur Verfügung zu stellen?«, fragt Kollektivmitglied Paul. Obwohl große Teile des ehemaligen Flughafens Tempelhof leerstünden, sperre sich der landeseigene Betreiber, Flächen bereitzustellen, kritisiert er.

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Vertreter bedrohter und solidarischer Projekte, stadtpolitisch Engagierte und Politiker der Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne sprechen am Mittwochabend beim Initiativenforum Stadtpolitik auf Basis eines 16-seitigen Diskussionspapiers über Notwendigkeiten und Bedingungen für eine »Taskforce für bedrohte Räume der Soziokultur und der Berliner Mischung« sowie die durch das Abgeordnetenhaus anvisierte »Schiedsstelle für akute Problemlagen in Stadtentwicklungsprozessen«. Gemeinsames Ziel: Es soll nicht zum oft seit Jahren absehbaren Verschwinden soziokultureller Räume wegen Verwertungs- oder anderer stadtentwicklungspolitischer Interessen kommen.

Einer der aktuellen Brennpunkte der Verdrängung ist die Rummelsburger Bucht - ausgelöst durch die Verabschiedung des Bebauungsplans Ostkreuz durch die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg im Sommer 2019. Meist hochpreisige Wohnungen sowie ein Schauaquarium der Kette Coral World sollen hier entstehen. Großer zivilgesellschaftlicher Protest und eine Volksinitiative änderten nichts daran. Möglicherweise bricht die Coronakrise den Aquariumsplänen das Genick, der Bauantrag dafür ist inzwischen überfällig.

Bereits im vergangenen Jahr geräumt wurde die Wagenburg Sabot Garden. »Wir werden im Herbst unseren Wagenplatz verlieren«, sagt Kerstin Albrecht von der Wagenkunst Rummelsburg, die nur einige Meter entfernt liegt. Außerdem siedelt dort noch das queere Wagenkollektiv »Mollies«. »Wir haben bereits im Herbst 2019 Kontakt zu Politiker*innen von Grünen, Linken und SPD aufgenommen«, berichtet Albrecht. Mehr als 100 Grundstücke seien seitdem »gescoutet« worden, Flächennutzungspläne seien studiert, mit Investoren sei gesprochen worden. »Zweimal habe ich persönlich mit Padovicz telefoniert«, so Kerstin Albrecht. Sie meint den berüchtigten Immobilienverwerter Gijora Padovicz. Der sei sogar grundsätzlich bereit gewesen, eine Fläche zu vermieten, allerdings habe er mit Verweis auf die fehlende rechtliche Grundlage für Wagenplätze erklärt, dies nicht tun zu können. »Wir haben bewusst darauf verzichtet, Flächen zu besetzen. Andere haben das auch nicht getan, weil sie sie unsere Verhandlungen nicht gefährden wollten«, sagt die umtriebige Bewohnerin.

»Ernüchternd« seien die Erfahrungen bisher gewesen, sagt Kerstin Albrecht und spricht von »Verantwortungsdiffusion«. Eine rechtliche Grundlage für Wagenplätze ließe sich durchaus schaffen, erklärt sie. Über die Ausweisung als Sonderfläche im Flächennutzungsplan und eine Baugenehmigung für die Gesamtanlage hat das niedersächsische Lüneburg bereits 2012 eine rechtlich saubere Lösung gefunden. Das nordhessische Witzenhausen ist 2015 einen ähnlichen Weg gegangen. Meist werden Wagenplätze aber nur stillschweigend geduldet.

Die Megatrends im Jahr 2020 seien Gemeinschaft und mobile Architektur, zitiert Albrecht eine Studie und sagt: »Wenn diese Begriffe helfen, dass die Blockaden in den Köpfen verschwinden, dann nennen wir uns gerne so.«

»In allen Parteien, die trotzdem bei ihren Gegner als linksgrünversifft gelten, gibt es Menschen, die konservativ sind und die diese Runde nicht so geil finden«, sagt Hendrikje Klein. Sie ist direkt gewähltes Lichtenberger Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und Sprecherin für Engagement. »Die Leute in der Verwaltung haben mit Wagenplätzen bisher nicht so viel zu tun gehabt, darauf stoße ich immer wieder. Da ist ganz viel Aufklärungsarbeit nötig«, erklärt Klein.

Tatsächlich ist ein konkretes Grundstück des Bezirks Lichtenberg als Ausweichfläche im Blick. »Ich nehme die Gespräche mit dem Bezirksamt auf, was die Fläche betrifft. Ich plane eine Begehung mit Vertretern des Bezirksamts und von den Wagenburgen«, sagt der Vorsitzende der Linksfraktion im Bezirk, Norman Wolf, zu »nd«. Eine längere Zwischennutzung sei durchaus vorstellbar. »Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Wagenburgen Teile der Fläche als Nachbarschaftstreff entwickeln - mit einem Grillplatz oder einer Liegewiese«, so Wolf weiter.

Den Frust über die Situation könne sie gut verstehen, sagt Katrin Schmidberger, Wohnungspolitikerin der Grünen im Abgeordnetenhaus. »Ich komme mir manchmal vor wie eine politische Briefträgerin.« Man müsse aus dem »Hamsterrad der Abwehrkämpfe« hinauskommen. »Eine Hilfsstruktur, die den Leuten Ressourcen gibt, ist mit das Wichtigste«, so Schmidberger. Sie begrüßt den Vorschlag des Initiativenforums, der wegen des ressortübergreifenden Ansatzes zum Beispiel in der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters angesiedelt sein sollte.

»Eine gut geführte Senatskanzlei sollte das auch können. Das ist in Berlin leider auch nicht immer der Fall«, sagt Kultur-Staatssekretär Torsten Wöhlert (Linke). »Da kann sich der Senat ausdenken was er will, an der Bezirksgrenze scheitert er oft«, gibt er noch mehr Einblick in die Mühen der Ebene. Der Kampf wird also weiter beschwerlich sein.

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