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  • »Jesus Shows you the Way to the Highway«

Helge Schneider dreht »Blade Runner«

Regisseur Miguel Llansó verkracht in »Jesus Shows you the Way to the Highway« Vergangenheit und Zukunft zu einem bildstarken Rätselfilm

  • Jasper Nicolaisen
  • Lesedauer: 3 Min.

Störgeräusche, nein, Pardon, Musik aus einem altertümlichen Soundchip, ein Ladebildschirm mit bunten Balken, und dann: »Jesus Shows you the Way to the Highway«, daneben: Stalin - in Klötzchengrafik. Der neue Film des gebürtigen Spaniers Miguel Llansó beginnt mit einem hübschen Zeichensalat, der sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zugleich weist - die Zukunftsverheißungen einer Kindheitsvergangenheit werden hier angespielt, die heute, da die Gegenwart sie nicht einlöst, nostalgisch verklärt und in der Wiederkehr des Immergleichen ungewälzt wird.

Auch im weiteren Filmverlauf ist die Inszenierung der Star und lädt zum Träumen, Rätseln und Schaudern ein. Während die Handlung selbst um zwei CIA-Agenten, die zum Schutz eines Lebenserhaltungssystems in den virtuellen Raum eingespeist werden, wo - natürlich! - die Sowjets warten, unaufdringlich egal bleibt. Es sind diese flackernden Röhrenfernseher, die klobigen Gadgets, diese Telefone mit Zähnen, die grellen Inneneinrichtungen und die bonbonfarbenen Serien, die nebenbei im TV laufen, die das Bild einer dystopischen, surrealen, überbordenden und oft einfach quatschigen Zukunfts-/Vergangenheits-/Alternativ-/Trauwelt basteln. Vieles sieht handgemacht und absichtlich billig aus, anderes ist zumindest überraschend ungesehen, wie die virtuelle Welt, die aus Stop-Motion und Pappmasken zusammengesetzt ist, was als technoide Verfremdung erstaunlich wirksam ist.

Zitatekino ist das natürlich auch. Alle großen Seltsamen des westlichen Kinos scheinen zumindest eine vergilbte Klappertastatur ins Szenenbild gestellt zu haben, Cronenberg, Lynch, Álex de la Iglesia, Terry Gilliam. Wer solches Kino liebt, wird große Freude an diesem Ausflug in eine Welt haben, in der Bedeutung zweitrangig und das Ausschweifen der Assoziationen alles ist. Das gelingt nämlich wirklich ausnehmend gut. Eine bei aller Huldigung an die Vorbilder so eigenständige Bildsprache war lange nicht zu sehen.

Wie immer bei dieser Art von Filmen nervt das Überbordende gelegentlich, wie überhaupt die Lust am Skurrilen und Provokanten in den schlechteren Momenten etwas Jungenhaftes hat - der eine Detektiv ist ein buckliger Kleinwüchsiger, höhö, seine Freundin eine sexy dicke Boxerin, krass. Solcher Freakshow-Kitzel muss 2021 wirklich nicht mehr sein, zumal schon bei Lynch alleine genügend seltsame Zwerge und sogenannte Elefantenmenschen für die gesamte Seltsamkeitsfilmgeschichte herumgeturnt haben, da gibt es 30 Jahre später wenig Neues zu erzählen, es sei denn, man würde es eben über den Faktor Abseitigkeit hinaus wirklich neu erzählen.

Warum der Verleih von Afrofuturismus spricht, bloß weil der Regisseur hauptsächlich in Äthiopien arbeitet, na, es wird Hilflosigkeit dabei sein und das Bemühen, einem hippen Begriff politische Strahlkraft abzugewinnen. Was gar nicht nötig wäre, denn »Jesus Shows You The Way to the Highway« ist mit der starken, eigenwilligen Inszenierung zwischen Trash und Großkunst und den Fragen nach der Konstruktion von Erinnerung und Identität eine schöne Wiederbelebung des in den 90er Jahren blühenden Kinos, das sich an der aufblühenden Virtualität abarbeitete. Da hat sich ja inzwischen einiges an Diskussionsbedarf angesammelt, und wenn wir uns zwischen Influencern, Telegram-Irren und Dauerbinging in der Pandemie umsehen, passt dieser Helge-Schneider-dreht-»Blade Runner«-Bilderbogen allemal besser, als zum x-ten Mal »Matrix«.

»Jesus Shows you the Way to the Highway«: Äthiopien, Estland, Lettland, Spanien, Rumänien 2019. Regie: Miguel Llansó. Mit: Daniel Tadesse, Guillermo Llanso, Agustin Mateo, 78 Min.

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