Mahnende Worte

Hans Modrow und Uwe Behrens bürsten mit ihrem China-Bild gegen den Strich

  • Wolfram Adolphi
  • Lesedauer: 5 Min.

Hans Modrow, der 93-jährige deutsche Staatsmann, hat ein Buch über China vorgelegt. »Brückenbauer« heißt es, und wer Interesse an der Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen hat, darf es nicht links liegen lassen. Es ist laut Untertitel eine »persönliche Rückschau« - die Rückschau eines Mannes, der »im Gründungsjahr der DDR und der Volksrepublik China 1949« aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft kam, mehrfach »in politischer Mission China bereist« hat, in der Heimat »viele Gespräche mit Chinesen« führte und so mit Fug und Recht darauf verweisen kann, dass er »in den verflossenen sieben Jahrzehnten auf unterschiedlichen Plätzen und in verschiedenen Funktionen« an der Entwicklung der Beziehungen »mitgewirkt« hat -, und es ist zugleich ein Blick in die Zukunft, kämpferisch geschärft durch das »Letzte Wort eines zornigen Alten«.

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Hans Modrow: Brückenbauer. Als sich Deutsche und Chinesen nahe kamen. Eine persönliche Rückschau. Verlag am Park, 234 S., br., 15 €.

Uwe Behrens: Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen.
Edition Ost, 222 S., br., 15 €. •

Lebendig, kenntnis- und detailreich schildert Modrow die 50er Jahre. Die ungeheure Dramatik des Korea-Krieges 1950 bis 1953 scheint auf - und fast beiläufig fügt der Autor ein, dass er 2018 von beiden Koreas zu seinen Erfahrungen mit der Herstellung der deutschen Einheit befragt wurde und über diese koreanischen Anfragen auch in Peking gesprochen hat. Solch Ansehen genießt dort einer, der 1959 das erste Mal nach China kam, als Leiter einer FDJ-Delegation, eingeladen von Jugendverbandschef Hu Yaobang, der 27 Jahre später, 1986, als Generalsekretär der KP China den Partei- und Staatschef der DDR Erich Honecker in Peking empfing.

Staatsmännisch unaufgeregt beschäftigt sich Modrow mit den sowohl bei Walter Ulbricht in den 50er als auch bei Erich Honecker in den 80er Jahren vorhandenen Bestrebungen der DDR-Führung, die Beziehungen zur VR China dafür zu nutzen, den eigenen Spielraum in den Beziehungen zur Sowjetunion zu vergrößern. Sehr genau kennt er die Widersprüche, die sich daraus ergaben; sachlich beschreibt er die unterschiedlichen Interessenlagen und ihre historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe. Und nie vergisst er die weltpolitischen Zusammenhänge, in denen sich das alles abspielte: den barbarischen Vietnamkrieg der USA 1964 bis 1975 und die mit der Reagan-Administration 1981 beginnende neue und - wie sich acht Jahre später zeigen sollte - letzte Etappe der Niederringung der Sowjetunion und ihrer osteuropäischen Verbündeten.

Mehrere Seiten widmet Modrow dem Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeuges über sowjetischem Territorium durch sowjetische Abfangjäger am 1. September 1983. Weit spannt er den Bogen von diesem, die antisowjetische Propaganda weltweit befeuernden, Ereignis über den Anteil des »Top-Spions der DDR-Aufklärung Rainer Rupp« an der Offenlegung der tatsächlichen Zusammenhänge bis zur 2015 erfolgten Freigabe eines Dokuments durch das japanische Außenministerium, mit dem »die offizielle Darstellung Washingtons widerlegt« und »bestätigt« wurde, »dass es sich um ein inszeniertes ›Versehen‹, also um eine aktive Spionageoperation gehandelt hatte«.

Nach dem Verschwinden der DDR hat Modrow in unvergleichlicher Weise weiter an der Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen gearbeitet. Sein 13. China-Besuch - von dem er hofft, dass es nicht sein letzter war, denn er will es Helmut Schmidt gleichtun, der mit 93 noch in China weilte - datiert auf den November 2019. Eingeladen hatten die Chinesische Akademie für Wissenschaftlichen Sozialismus und die Schule für Marxismus an der Shandong-Universität im Zusammenhang mit dem 10. Weltsozialismusforum. Allein die souveräne, die Jahrzehnte zueinander in Bezug setzende Schilderung dieses Forums ist schon das Lesen wert. Und der »zornige Alte«? Er geht unsanft mit seiner Partei, der Linken, ins Gericht.

Eine ganz andere Erfahrungswelt nimmt mit seinem Buch »Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen« der Transportökonom und Logistiker Uwe Behrens in den Blick. Der 1944 Geborene hatte mit seinen Studien an der Hochschule für Verkehrswesen »Friedrich List« in Dresden und an der Wilhelm-Pieck-Universität in Rostock wie auch mit seiner Praxis bei der Einführung des Containerbetriebs bei der Deutschen Reichsbahn der DDR, als DDR-Vertreter bei Intercontainer in Basel und Fachdirektor bei Deutrans so viel Fachwissen erworben, dass er nach 1990 ebenso erfolgreich auf internationaler Ebene weiterzuarbeiten vermochte, zuletzt bis 2017 als Berater eines in Hongkong ansässigen Unternehmens im Rahmen der Neuen Seidenstraße.

Nun hat er den prallvollen Sack seiner Erfahrungen und Ansichten geöffnet. Was es da zu lesen gibt, ist in jeder Hinsicht anregend und - da trifft sich Behrens mit Modrow - nicht ungewollte, sondern absichtsvoll betriebene Belehrung. Weil: »Wir stehen am Scheideweg: Entweder gelingt es, diese unsinnige, gefährliche Konfrontation durch kollektive Anstrengungen zu überwinden und vernünftige Beziehungen zur Volksrepublik China zu entwickeln - oder aber die Klimakatastrophe und andere Konflikte werden die Existenz der Menschheit noch in diesem Jahrhundert mehr als nur gefährden.«

Nein, sagt Behrens, das, was China da macht, sei »überhaupt kein Modell für die Welt«. Aber er will, dass der chinesische Weg ernst genommen und interessiert und aufnahmebereit diskutiert wird. Unterhaltsam beschreibt er sein Joint Venture, seine Anfänge mit China 1990, schildert seinen Alltag, dann sein jahrelanges Pendeln zwischen Neu Delhi und Peking - und aus dem Persönlichen und Beruflichen heraus diskutiert er all die Fragen, die der Mainstream hierzulande immer wieder nur in grelles Feindbildlicht getaucht sehen will. So beobachtet und analysiert Behrens das »Sozialpunktesystem« und den »Great Firewall« - die Aussperrung US-amerikanischer Internetanbieter -, er schreibt über »soziale Werte« und »Markt, Plan und Eigentum«, erörtert den »zivilisatorischen Staat« und die »meritokratische Regierungsform«, befasst sich mit dem »Kampf gegen Armut«, mit »Korruption und Antikorruption« und dem Konzept des »Grünen China«, gibt einen fantastischen Einblick in die Routen und die Organisation der Neuen Seidenstraße. Und er schließt unter der Überschrift »Zurück in Deutschland« mit einer stringenten Auseinandersetzung mit den Feindbildbeschwörern und Feindbildproduzenten.

Zum Schluss hat auch Behrens mahnende Worte in Richtung der »linken Opposition« in Deutschland parat. Es sei nicht gut, dass auch sie - wie die Regierenden in den westlichen Staaten - »unangemessen« mit der Volksrepublik China umgehe. Eindringlich legt er seinen Leserinnen und Lesern die Ansichten des in Singapur lebenden Politologen Kishore Mahbubani ans Herz: Man müsse »immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eher Böses als Gutes erreicht wird, wenn man Demokratie in einem Land erzwingt«, und: China werde »nicht demokratisch regiert, aber verantwortungsbewusst«.

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