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Nicht nur bürgernahe Beamte

Rechtsextremismus in der Polizei: Niedersachsens Innenminister will aufklären – und seine Beamten schützen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach Abwiegelei klingt der »Lagebericht«, den Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Oktober 2020 zum »Rechtsextremismus in Behörden« veröffentlicht hatte: Nur 22 bei der Polizei Beschäftigte seien wegen ihrer entsprechenden Gesinnung im Sieb des Verfassungsschutzes hängengeblieben, geht aus dem Papier hervor. Eine Zahl, die stutzig macht angesichts immer neuer, meist durch Zufall entdeckter, rechtslastiger, rassistischer, teils den Hitlerfaschismus verherrlichender Chats unter Polizeibeamten mehrerer Bundesländer. Wie besorgt viele Menschen über rechte Tendenzen innerhalb einer Institution sind, die das Gewaltmonopol des Staates ausübt, zeigte die Teilnahme von gut 300 Interessierten an einer offenen Onlinediskussion der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Niedersachsen am Donnerstagabend zum Thema »Rechtsextremismus in der Polizei – alles Einzelfälle?«.

Ja, es gibt auch Rassismus bei Polizisten, räumte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ein, der die Runde mit freundlichen Worten über die »echte Bürgerpolizei« im eröffnet hatte. Zwei wissenschaftliche Untersuchungen sollen den Polizeialltag und dabei auch das Thema Rechtsextremismus und die Frage, wodurch er begünstigt wird, in den Blick nehmen, kündigte der Ressortchef an. Das sei kein Misstrauen gegen die Polizei. Sie verdiene es, in Schutz genommen zu werden, »aber nicht blind«.

Die Beamten müssten »immunisiert« werden gegen Bemühungen von rechts, in Verwaltungen und Polizei vorzudringen, sagte Pistorius. Die AfD versuche das sehr gezielt. Er erinnerte daran, dass es den Nazis seinerzeit gelungen sei, die »öffentlichen Apparate unter Kontrolle« zu bringen. Es gelte, die Widerstandskraft der Polizistinnen und Polizisten gegen demokratiefeindliche Tendenzen, gegen das »Werben von rechts« zu stärken.

Zur Frage eines Teilnehmers, ob man AfD-Mitglieder in den Reihen der Polizei dulden dürfe, beschied der Minister: Allein wegen der Zugehörigkeit zu der Partei könne man jemanden nicht vom Polizeidienst ausschließen. Die AfD sei zwar nicht demokratisch, aber zugelassen. Erst, wenn ein Beamter sich im Dienst daneben benehme, etwa bestimmte Menschen »anders behandelt als andere«, könne man ihn »anfassen«. Unter den Teilnehmenden waren auch Polizisten. Ihnen machte Pistorius Mut, rechtsradikal geprägtes Handeln von Kollegen zu melden. Das sei kein Denunziantentum, sondern diene dem »Schutz der eigenen Berufsgruppe«.

Mehrere Diskutanten äußerten den Wunsch nach einer neutralen Instanz, bei der Betroffene und Beobachter offenbar rechts und rassistisch motivierte Gewalt durch Polizisten melden können. Pistorius verwies daraufhin auf die »Beschwerdestelle« beim Innenministerium, die entsprechende Hinweise auch anonym aufnehme. Eine externe Einrichtung werde wenig bringen, gab Pistorius zu verstehen, zumal dort zu dem jeweiligen Geschehen »dieselben Zeugen« aussagen würden wie bei der existierenden Stelle.
Beschwerden, das wurde im Chat deutlich, würden sich nicht selten gegen »Racial Profiling« richten, also das Kontrollieren von Menschen, die aufgrund von Äußerlichkeiten als Angehörige einer »anderen« Nation oder ethnischen Gruppe identifiziert werden, etwa als »Schwarzafrikaner«.

In diesem Zusammenhang verwiesen Diskussionsteilnehmer auf Tod eines 19-Jährigen, der am 6. März im niedersächsischen Delmenhorst nach einer Polizeikontrolle und einem Zusammenbruch im Polizeigewahrsam im Krankenhaus gestorben war. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hatte vergangenen Montag mitgeteilt, äußerliche Gewalteinwirkung scheide laut vorläufigem Obduktionsergebnis als Todesursache aus. Es laufen aber noch toxikologische Untersuchungen. Der junge Mann wurde am Donnerstag in Delmenhorst beigesetzt. Seine Familie gehört der dortigen jesidischen Gemeinde an. Ihr Anwalt Cahit Tolan hat eine zweite, private Obduktion in Auftrag gegeben. Auf deren Grundlage wollen die Eltern entscheiden, ob sie rechtliche Schritte einleiten.

An der Diskussion nahm neben Minister Pistorius auch Thomas Grumke teil, Professor an der Polizeihochschule Nordrhein-Westfalen. Er erklärte zum Thema »Racial Profiling«, wenn etwa an einem dafür bekannten Ort in Hannover eine Gruppe dunkelhäutiger Menschen Drogen verkaufe, sei die Polizei aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags zur Strafverfolgung angehalten, diese Personen zu kontrollieren. Solle ein Beamter die Kontrolle nun unterlassen, weil er fürchten müsse, sonst als »Nazi« diffamiert zu werden? Gleichwohl räumte Grumke ein, Äußerlichkeiten allein dürften kein Grund für eine Kontrolle sein. Es gehe nicht an, dass Polizisten eine Lkw-Besatzung überprüften, nur weil ihr Fahrzeug ein rumänisches Nummernschild habe, frei nach dem Motto: »Bei denen finden wir immer was!« Das sei nicht hinzunehmen, so Grumke.

Ein Chatteilnehmer mit türkischem Namen appellierte an Pistorius und Grumke, sie sollten die Situation nicht zu rosig darstellen. Er schrieb: »Bleiben wir doch bitte bei der Realität von uns Migranten. Wir haben da eine andere Sichtweise, da sich die Polizei uns anders nähert als einem Menschen, der ›deutsch‹ aussieht«.

Die Moderatorin des Abends, die Journalistin Cosima Schmitt, fragte Grumke, ob sich »rechtsextrem orientierte« Menschen zum Polizeiberuf hingezogen fühlen, weil sie als »Autoritätsperson« auftreten können. Wer in diesem Sinne den Beruf anstrebe, werde »schon während der Ausbildung« scheitern, meinte der Professor, »und zwar an seinen Mitstudentinnen und -studenten«. Äußerungen dieser Art während der nur gut eine Stunde dauernden Veranstaltung veranlassten einen der Teilnehmer zu der Frage: »Ist das hier eine Werbekampagne der Polizei?«

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