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Im Habitus der Extravaganz

Das Kölner Museum Ludwig gibt Einblick in bisher verborgene Facetten der Künstler-Ikone Andy Warhol

  • Georg leisten
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Welt kennt ihn nur als Siegertypen. Glamourös wie seine Bilder, umschwärmt von Filmstars, cool und unnahbar unter silberblonder Perücke. Er war Fürst des New Yorker Undergrounds und berühmtester US-Künstler aller Zeiten - doch hinter der schillernden Selbstinszenierung verbarg sich noch ein zweiter, höchst verletzlicher Andy Warhol. Einer, der als Homosexueller wie als Sohn slowakischer Einwanderer Ausgrenzung und Stigmatisierung erfuhr.

Welche Spuren haben die soziokulturellen Parameter Queerness und Migrationshintergrund im Werk des Pop-Titanen hinterlassen? Diese Frage stellt sich das Kölner Museum Ludwig in einer monumentalen Ausstellung, die zwar schon lange aufgebaut war, ihre Türen wegen der Pandemie aber erst jetzt öffnete. Mit einem ausführlichen Video-Rundgang auf der Homepage haben die Kuratoren zugleich für einen möglichen erneuten Lockdown vorgesorgt.

Aber was lässt sich im Jahr 2021 noch über Warhol hervorholen? Cola-Cola-Flaschen oder Marilyn Monroe in Serie sind längst Klassiker an jeder Museumswand. Auch in Köln fehlen die beliebten Sixties-Ikonen nicht. Doch der Knüller der Schau sind unbekannte Frühwerke und private Lebensdokumente Warhols. Hieraus formiert sich ein ebenso ungewöhnliches wie widersprüchliches Porträt des Künstlers als integrierter Außenseiter. Vor allem die am Rhein gezeigten Männerakte, in denen der Heranwachsende seinen erotischen Träumen grafisch klar konturierte Gestalt verlieh, blieben den Blicken der Kunstwelt lange vorenthalten.

Die Kuratoren führen uns mitten hinein ins Amerika der Nachkriegszeit: Trotz des aufklärerischen Kinsey-Reports hielten sich moralische Verklemmungen hartnäckig, nicht nur in Warhols knochenkonservativer Heimat, dem Quäker-Staat Pennsylvania. Auch im ultraliberalen New York - wohin der Künstler 1949 zog - verbreiteten Medien weiterhin die Information, Homosexualität sei eine »schlimme Krankheit«. Wenn Warhol gern im Habitus der Extravaganz auftrat, geschah dies nicht aus gewollter Überheblichkeit. Es war eher eine Art Schutzpanzer, wie der Weggefährte Bob Colacello vermutet. Exzentriker wurden zumindest weniger angefeindet als Schwule.

Und dann war da noch der andere Makel. »Hunkie«, das amerikanische Schimpfwort für Osteuropäer, dröhnte Warhol zeitlebens im Kopf nach. 1948 porträtierte sich der Zwanzigjährige in grob gepinseltem Expressionismus beim Nasebohren. Ganz so, als wolle er die Vorurteile gegenüber slawischen Einwanderern trotzig überbieten. Schaut her, das bin ich: Ein popelndes Untier aus den Karpaten! Um die geografische Herkunft ein wenig zu verschleiern, unterdrückte der Künstler irgendwann das auslautende »a« in seinem Nachnamen Warhola und machte aus Andrew Andy.

Dennoch standen die Chancen, es im sozialdarwinistischen Rattenrennen nach ganz oben zu schaffen, nicht gut für Warhol. Aber der schüchterne Junge hatte früh gelernt, seine Talente gewinnbringend zu nutzen. Das »effeminierte und kränkliche Kind«, erinnert sich ein Zeitzeuge, habe »die Rowdys in seinem Viertel nur dadurch dazu gebracht, ihn nicht zu verprügeln, dass er ihre Porträts zeichnete«. Ein Grafikstudium erwies sich als Karrieresprungbrett. Mit Anfang 30 bereits besaß Warhol ein Haus in New York. Weil er nun wusste, wie die Konsumgesellschaft funktionierte, konnte seine Kunst ihr den Spiegel vorhalten. Die Seifenpulver-Kisten der »Brillo Boxes«, die knallroten »Campbell’s«-Suppendosen und alle anderen Pop-Art-Inkunabeln sind gleichsam die Konsequenz aus dem Werberjob.

Warhols Methode war der Transfer vom Supermarkt ins Museum. Während ein Marcel Duchamp nur einzelne Gebrauchsgegenstände wie den berühmten Flaschentrockner in Objekte für den Kunstmarkt verwandelte, ging Warhol einen Schritt weiter: Er erklärte das gesamte Prinzip des kapitalistischen Marketings zum kreativen Akt. »Ein gutes Business ist die faszinierendste Kunst überhaupt«, heißt es in »Die Philosophie des Andy Warhol«. Seine berühmte Factory, in der schlecht bezahlte Hilfskräfte die industrielle Massenproduktion der Werke übernahmen, stand Modell für heutige Kunstunternehmer wie Jeff Koons oder Damien Hirst. Für Warhol, den Mann, der gern eine Maschine gewesen wäre, gehörte das asexuelle Auftreten dabei zur Geschäftsstrategie.

Körperlich explizite Zeichnungen wurden mit dem kommerziellen Erfolg seltener, zur schwulen Befreiungsbewegung wahrte der Künstler Distanz. Trotzdem thematisiert sein Oeuvre auch weiterhin queere Identitäten: Der Porträtzyklus »Ladies and Gentlemen« von 1975 etwa widmet sich Trans-Frauen und Dragqueens mit afro- oder lateinamerikanischer Herkunft. Diverse Migranten, doppelte Außenseiter wie Warhol selbst. Auch Filme und Fotos des Gesamtkunstwerkers experimentierten mit Elementen der Travestie. Eines von Warhols bevorzugten Outfits - Lederjacke, Stiefel, Sonnenbrille - spielte ebenfalls auf einen Dresscode der schwulen Szene an. Doch die Affinität zur Welt der Schönen und Reichen brachte den Künstler in Konflikt mit jenen, die gegen den Vietnamkrieg und für sexuelle Befreiung auf die Straßen gingen. Im Juni betrat die radikale Feministin Valerie Solanas die Factory und schoss dem Mann, der als Jugendlicher selbst unter der prüden Spätbürgerlichkeit gelitten hatte, eine Kugel in den Bauch. Warhol überlebte nur knapp.

Der Ansatz der Kölner Präsentation hätte Warhol wahrscheinlich nicht gefallen. Lehnte er doch jedes Persönlichwerden, jede Betonung des Subjektiven im künstlerischen Ausdruck ab. Aber gerade die biografische Herangehensweise schlägt eine Bresche für vernachlässigte Perspektiven. Warhol war nicht nur der gewiefte Impresario, dem es gelang, die ironische Kritik am universellen kapitalistischen Konsum wieder als künstlerische Ware in den kapitalistischen Kunstmarkt einzuspeisen. Er war auch ein Brückenbauer, der queere Ästhetik aus der schummerigen Subkultur-Nische ins Rampenlicht des Mainstreams geholt hat. Nicht zufällig begann um 1970 jene kurze, aber bunte Blütephase der Travestie in der Pop-Musik. Schrill geschminkt und androgyn gekleidet, sangen Stars wie David Bowie und Brian Eno gegen tradierte Geschlechtercodes an. Im engeren oder weiteren Sinne reichen die Netzwerke dieser Glamrock-Götter auf den Meister der hundert Marilyns zurück.

»Andy Warhol now« lautet der Titel der Schau. Sie betreibt Kunstgeschichte so, wie man sie stets betreiben sollte: aus den Augen der Gegenwart.

Das Museum Ludwig ist geöffnet, die Ausstellung wurde bis 13. Juni verlängert. Online-Rundgang: www.museum-ludwig.de

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