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No Scribes: Feiern und hinterfragen

Die erste literarische Girlband ist gegründet: Die No Scribes aus Berlin

  • Nane Pleger
  • Lesedauer: 6 Min.
Girls just wanna have fun: No Scribes wollen dem Girl-Phänomen auf die Spur kommen.
Girls just wanna have fun: No Scribes wollen dem Girl-Phänomen auf die Spur kommen.

»That Girl«, »Pick me Girls«, »Girl Dinner«, »Lazy-Girl-Job« – ein Blick in die sozialen Medien lässt konstatieren: Das Girl ist zurück. Zurück aus den 90ern, wo es zum Phänomen wurde. Angefangen hat es, wie so oft, subversiv und in der Subkultur, als sich in den USA junge Frauen Mitte der 90er in der Grunge-Musikszene einen eigenen Raum schufen. Eine Form weiblicher Selbstermächtigung und Neudefinition des Begriffs »Girl«. Bis dahin wurde er vorrangig von Männern definiert. Vom Beatles-Lied »Girl« (1965) über die von Männern produzierten Girlgroups auf dem Plattenlabel Motown bis zum »Girlism«-Titelblatt der Musikzeitschrift »Spex« (1990).

Nun schlossen sich »Mädchen« zu Bands zusammen, nutzten Musik, um feministische Statements zu setzen, und forderten mit ihrem Auftreten und Aussehen traditionelle Rollenbilder heraus. Sie fingen an, sich als »Riot Grrrls« zu bezeichnen – und ihr Name war Programm, denn sie verlangten in zerschlissenen Kleidern, mit verschmiertem Make-up und mit aggressiver Musik die Selbstermächtigung von Girls. Entgegen überzogenen Schönheitsidealen, der Objektivierung des weiblichen Körpers und der fehlenden Solidarität zwischen Frauen. Aus diesen radikalen Girls wurde dann aber schnell das Girl(ie), das weder Feministin noch Emanze sein wollte.

Selbst wenn No Scribes mit ihren Outfits einen nostalgischen Blick auf ihre Jugend werfen, ihr eine kleine Hommage setzen, so romantisieren sie nichts.

Die »Riot Grrrls« wurden einmal vom Patriarchat und Kapitalismus weichgespült, und was blieb, waren die Piercings, die Miniröcke zu derben Stiefeln und die Mädchenbands, aber alle ohne den feministischen Ton. Das Girl wurde konsumiert und konsumierbar gemacht. Girl wurde zu einer Marketingstrategie, es stand auf T-Shirts und Hosen in Strasssteinaufschriften, Kataloge warben mit »frechen« Outfits für selbstbewusste Mädchen. Girls sollten frech, aber auch süß und sexy sein. Die Inkarnation dieses Frauenbildes fand sich in den Girlbands, die nichts mehr mit dem Grunge und Punk der »Riot Grrrls« zu tun hatten.

2000 gründete sich No Angels, eine der bekanntesten deutschen Girlbands, im Zuge der 1. Staffel der Casting-Sendung »Popstars«. Es war die erste deutsche Castingshow – und eine der beliebtesten: Fast sechs Millionen Zuschauer*innen saßen in den 2000ern vorm TV. Es wurden junge, normschöne Mädchen in bauchfreien Spaghetti-Tops gecastet – eben Girls, die sich nicht scheuten, vor die Kamera zu treten und sich zu präsentieren. So wurden aus den feministischen Girls die angepassten Girlies, deren Körper zu ihrem Kapital wurde, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen.

Neben den No Angels, die hauptsächlich im deutschsprachigen Raum bekannt waren, hatten Musikgruppen wie TLC, Spice Girls, Destiny’s Child und The Pussycat Dolls großen Erfolg. Die Girlband wurde zum Phänomen der Jugendkultur um die Jahrtausendwende. Jedes Mädchen hatte wohl eine berühmte Musik-Gruppe und daraus ein spezifisches Girl, mit dem sie sich besonders identifizierte.

So ging es auch den Schriftstellerinnen Paula Fürstenberg, Alisha Gamisch und Raphaëlle Red, die sich 2025 entschlossen, diesem Phänomen ihrer Jugend auf den Grund zu gehen. Dafür haben sie einen Selbstversuch gewagt und sich die silbern glänzenden Schuhe einer Girlband angezogen und kurzerhand die (vermutlich) erste literarische Girlband mit dem vielsagenden Namen No Scribes gegründet. Am 7. November 2025 hatten sie auf der Vagantenbühne in Berlin ihre Premiere mit einer literarischen Pop-Show, bei der Lena Brasch Regie führte. Zeitgleich veröffentlichten sie den Text ihrer Show als kleines Heft beim Sukultur-Verlag.

Ihre literarische Show beginnen sie vorm Bühnenbild eines Teenie-Zimmers in silbern glänzenden Kleidern und – wie soll es anders sein – tanzend. Im Hintergrund läuft ein eigens dafür komponiertes Lied von Paul Eisenach. Die No Scribes bewegen ihre Münder in guter alter Playback-Manier übertrieben mit: »We are all these girls/ aus den Neunzigern und Nullerjahren, die unsere kleine Hölle waren«. Denn selbst wenn No Scribes mit ihren Outfits auch einen nostalgischen Blick auf ihre Jugend werfen, ihr eine kleine Hommage setzen, so romantisieren sie nichts: »Die 90er sind zurück, das heißt Buffalos mit Schlaghose, das heißt Brutalos mit Baseballschlägern. Wir wollten den Spaß zurück, wir bekamen die Verhältnisse.« (Paula Fürstenberg)

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Wenn gerade das Girl-Phänomen wieder auflebt, so muss man es vor den Bedingungen unserer Zeit sehen. Es ist eine Wiederbelebung der angepassten Girl-Weiblichkeit der 90er, die man wohl auch als Reaktion auf die Manosphere und ihre hypermaskuline Männlichkeit sehen muss. Ein Girlie passt zum starken Mann, der die Welt vor ihrer Verweichlichung, vor dem Feminismus retten muss.

Schon die »Riot Grrrls« bekamen den Vorwurf, Männerhasserinnen zu sein, weil sie sich vom männlichen Blick, dem Male Gaze, lösen wollten. Girls wiederum wollten und sollten Männern gefallen, woraus sich das »Girl-Paradox« entwickelt: Drei Girls ergeben ein Dreieck, in dessen Mitte der Mann als imaginärer Fixpunkt liegt, den man zum Berechnen der Anziehungskraft braucht, Anziehung wie Gravity, wie Schwere, Ernst, Bedrohung.

Aus diesem männlichen Fixpunkt ergibt sich ein weiteres Paradox: Auch wenn Girlbands als geschlossene Gruppe auftraten, konnte es doch keine echte Solidarität zwischen ihnen geben: »wir treten gegeneinander an […] wir vertrauen einander/ ohne uns einander anzuvertrauen.« Girls werden zu Komplizinnen im Buhlen um Aufmerksamkeit, was wirkliche Verbundenheit unmöglich macht. Wie das durch die Öffentlichkeit gefördert wurde, arbeiten No Scribes heraus, mit Zitaten aus Interviews, Fanbüchern und der Presse über ihre Jugend-Vorbilder: Destiny’s Child, Tic Tac Toe und Spice Girls.

»Streitet ihr euch auch manchmal? Zieht ihr euch an den Haaren?«, zitiert Gamisch Thomas Gottschalk. No Scribes legen aber nicht nur antifeministische Strukturen in der medialen Wahrnehmung der Girls offen, sondern auch rassistische und klassistische: »Wir werden sichtbar gemacht, das heißt meistens: verdaubar. Wir werden keine lauten Schwarzen Mädchen, die im Einkaufszentrum auflachen, keine zukünftigen ›Welfare Queens‹, gierig nach Kindergeld.« (Raphaëlle Red)

Diese Aufarbeitung der medialen Repräsentation von Girls und des Phänomens Girlband macht No Scribes aus zwei Gründen besonders. Zum einen archiviert und interpretiert Popkultur hier Popkultur, und zwar eine Jugendkultur, die notorisch von Medien und Wissenschaft übersehen wird: die von Mädchen. Zum anderen zeigen Fürstenberg, Gamisch und Red eben auf, wie die Flammen der »eigenen kleinen Hölle« der »90er und Nullerjahre« (Red) Frauen bis in die Gegenwart im aktuellen Antifeminismus verbrennen. Sie machen historische Zusammenhänge sichtbar.

No Scribes sind ein Versuch, sich den Begriff Girl anzueignen, ihn schillernd zu feiern, aber besonders, ihn kritisch zu hinterfragen. Es ist ein Versuch, den weiblichen Körper, der in dieser Jugendkultur objektiviert wurde, wieder zurückzugewinnen und die problematischen Verhältnisse, in denen das Phänomen entstand, in Worte zu fassen. Es ist außerdem ein Versuch, Solidarität zwischen Autorinnen in unserer Gegenwart zu praktizieren und zelebrieren.

»No Scribes: Die literarische Girlband«, Sukultur, brosch., 5€.

Dazu passende Podcast-Folgen:

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