»Sorry, Baby«: Trauma ausleuchten statt ausschlachten

Eva Victor hat mit »Sorry, Baby« einen angenehm anderen Film zum Thema Traumabewältigung gedreht

Wer eine beste Freundin hat, dem kann kein Mann was anhaben.
Wer eine beste Freundin hat, dem kann kein Mann was anhaben.

Vielleicht ist diese Schätzung nicht im strengen Sinne repräsentativ, aber wir können davon ausgehen, dass in 99 Prozent aller Filme, in denen es um Gewalt an Frauen geht, diese auch explizit gezeigt wird und/oder der Täter mindestens die Hauptrolle spielt, wir uns also auf eine sehr unangenehme Weise dem männlichen Geniekult unterwerfen müssen.

Sexueller Missbrauch oder körperliche Gewaltexzesse sollen in den meisten Filmen in all ihrer Obszönität gegenständlich sein. Sie bilden nun mal Realität ab, das ist die Verteidigungsrede. Man will sich als Filmemacher (kein Gendern nötig, es sind fast nur Männer, die solche Filme drehen) nicht vorwerfen lassen, eine Sissi zu sein, die sich davor scheut, den Menschen in seiner ganzen Abartigkeit abzubilden. Als Frau schaut man solche Filme mit einer besonderen Art Ekel, denn wir wissen ja, wie es sich anfühlt, wenn sich jemand in der Bahn zu dicht neben einen setzt, wir wissen, wie widerlich Blicke sein können, im schlimmsten Fall wissen wir auch den Rest. Jede, wirklich jede Frau, kennt diesen Ekel. Müssen wir es dann auch immer und immer wieder künstlerisch neu aufbereitet bekommen?

Aus dem Haus kommt eine völlig entrückte Agnes, und jeder weiß, was passiert ist, ohne es in den widerlichen Einzelheiten präsentiert bekommen zu haben.

Es gibt Filme, die thematisieren Missbrauch, ohne ihn zeigen zu müssen. Wenige fallen einem da spontan ein (»In die Sonne schauen«), aber »Sorry, Baby« der nicht binären Regisseurin Eva Victor (die für sich die Pronomen she/they wählt) ist ein sehr aktuelles Beispiel. Victor, die selbst die Hauptrolle übernahm, spielt darin Agnes, eine junge Literaturprofessorin, die von ihrem Doktorvater während einer Besprechung bei ihm zu Hause missbraucht wird. Das zentrale Ereignis, das in nicht chronologischen Rückblenden erzählt wird, ist dabei nie zu sehen. Zu sehen ist das Haus des Professors in der Frontalen, die Tageszeiten wechseln und Lichter gehen an, auch die Eingangstür öffnet sich irgendwann. Heraus kommt eine völlig entrückte Agnes und jeder weiß, was passiert ist, ohne es in den widerlichen Einzelheiten präsentiert bekommen zu haben.

Ab hier zeigt Victor in ihrem Regiedebüt mit einem selten gesehenen, staubtrockenen Humor, wie Traumabewältigung aussehen kann, wenn es nicht ums Ausschlachten, sondern ums Ausleuchten geht. Es wäre falsch, in diesem Zusammenhang das Wort Opfer für Agnes zu benutzen, denn der gesamte Film basiert darauf, wie sie »das Ding« verarbeitet oder geradezu bearbeitet. Absurd witzig ist dabei eine Szene bei einem Arzt, den sie nach dem Übergriff (»dem Ding«) aufsucht und der ihr vorwurfsvoll mitteilt, beim nächsten Mal doch bitte sofort in die Notaufnahme zu gehen und nicht erst zu baden. »Ich merke mir das fürs nächste Mal«, ist Agnes stoische Antwort, bevor ihre Freundin den Arzt harsch zurechtweist, doch bitte seinen Ton zu ändern.

Nichts an diesem Film ist voyeuristisch, nichts inszeniert den Täter bei aller Bösartigkeit als faszinierende Bestie, wie etwa die Serien »Liebes Kind«, »Monster: Die Geschichte von Ed Gein« oder Filme wie »Der goldene Handschuh«. In »Sorry, Baby« geht es schlicht um eine Frau, die angelehnt ans absurde Theater versucht, das schlimmste Ereignis ihres Lebens irgendwie zu bewältigen. Eva Victor, die in den USA mit lustigen Tiktok-Videos bekannt wurde und als Autorin für Comedy Central und die feministische Online-Satirezeitung »Reductress« schreibt, hat mit »Sorry, Baby« eine Indie-Überraschung auf dem letzten Sundance- Filmfestival gezeigt.

Zentral ist dabei die Freundschaft zu Lydie (Naomi Ackie), die sich wie eine warme Kuscheldecke anfühlt. In jeder Lebenslage ist Lydie da, hört zu, sagt nichts, wo es zu schweigen gilt, oder wehrt sich gegen allzu viel Übergriffigkeit, wenn Agnes nicht die Kraft dazu hat.

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In altbackenen Kategorien gedacht, würde man behaupten, »Sorry, Baby« ist ein Frauenfilm. Nichts an dem Film ist laut, brutal, einfach zu viel Inszenierung. Ganz im Gegenteil. Und das ist gleichzeitig auch seine größte Schwäche. Manche Dialoge sind so lakonisch, dass sie lächerlich anmuten und klingen, als würden sich zwei 13-jährige Emo-Teenies unterhalten.

Zudem sind die Nebenrollen nachlässig lieblos gezeichnet. Eine Kontrahentin, die es auf Agnes Professorinnenstelle abgesehen hat und die um die Zuneigung des übergriffigen Profs buhlt, wird dargestellt, als sei sie kürzlich sehr oft gegen eine Wand gelaufen. Vielleicht ist der Humor auch einfach zu kryptisch. Agnes Nachbar, der schüchterne wie süße Gavin (Lucas Hedges), ein Vanilla-Guy wie aus dem Lehrbuch, wirkt wie eine Softie-Karikatur.

Trotzdem ist der Film ein witziges, absurdes Gegenstück zu allem, was unter dem Label Trauma-Porn in den letzten Jahren produziert wurde und ist schon deshalb 100-mal interessanter anzusehen.

»Sorry, Baby«, USA 2025. Regie: Eva Victor. Mit: Eva Victor, Naomi Ackie, Lucas Hedges. 113 Minuten. Start: 18. Dezember.

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