Doppelter Druck in München

Neben der Niederlage gegen Paris belasten die Bayern hausgemachte Probleme

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Donnerstag hatte jene bizarre Statistik noch immer Bestand, die schon am Mittwochabend für alle, die es mit dem FC Bayern halten, wie ein Albtraum gewirkt hatte. Doch die unbestechliche Datenlage wies auch mit einer Nacht Abstand 31:6-Torschüsse für die Münchner aus, aber ebenso das 2:3 (1:2) gegen Paris Saint-Germain, wodurch der Einzug ins Halbfinale der Champions League zu einer Mammutaufgabe wird. Zumal sich die mangelnde Effizienz in der Offensive und die Defizite in der Defensive eher nicht im Handumdrehen bis zum Viertelfinalrückspiel am Dienstag in Paris beheben lassen dürften. Erschwerend kommt für den Titelverteidiger hinzu, dass dann weiterhin Weltfußballer Robert Lewandowski und Serge Gnabry fehlen werden. Zudem sind Leon Goretzka und Niklas Süle fraglich, nachdem sie in der ersten Halbzeit mit muskulären Problemen ausgeschieden waren.

Die Bayern gaben sich nach dem ersten Wiedersehen mit dem Finalgegner der Vorsaison dennoch kämpferisch. »Die Art und Weise, wie wir Fußball gespielt haben, war beeindruckend«, lobte Hansi Flick nach der ersten Niederlage in der Champions League unter ihm als Chefcoach. Man sei »guter Dinge« und könne »positiv nach Paris schauen«, sagte er, »wir wollen ins Halbfinale, daran ändert auch dieses Ergebnis nichts.« Es macht das Vorhaben jedoch sehr kompliziert. Wegen der Auswärtstorregel ist ein Sieg mit zwei Toren Differenz nötig oder ein 4:3, 5:4, 6:5, was nach den jüngsten Eindrücken nicht völlig abwegig erscheint. So positiv Flick den Auftritt mit einiger Berechtigung wertete: Zur Wahrheit gehörte auch, dass es nicht nur an der Chancenverwertung durch die fehlende Konsequenz und Kühle eines Lewandowski gelegen hatte, sondern auch an den chronischen Defensivschwächen. »Die Münchner können bei PSG mit zwei Toren Unterschied gewinnen - aber nicht, wenn sie so viele einfache Fehler machen. Was beide Abwehrreihen in diesem Spiel zeigten, war eine Katas-trophe, das hatte mit internationaler Klasse nichts zu tun«, bemängelte der frühere Innenverteidiger und Weltmeister von 1990, Jürgen Kohler, in seiner kicker-Kolumne.

Es stimmte aber auch, was Thomas Müller anmerkte. »Wenn wir den Killerinstinkt an den Tag legen, den wir sonst oft zeigen, sähe alles anders aus«, sagte er, »wir haben uns das Ei selbst ins Nest gelegt. Jetzt müssen wir im Rückstand hinterherlaufen.« Das galt im Hinspiel schon früh: PSG hatte die großen Lücken in der Münchner Abwehr und zwischen Manuel Neuers Torwartbeinen nach drei Minuten zu Kylian Mbappés 0:1 genutzt. Ähnlich unsortiert agierten die Bayern in der 28. Minute beim 0:2 von Marquinhos. 40 Minuten später traf nach Neymars dritter Torvorlage erneut Mbappé. Zuvor hatten Eric Maxim Choupo-Moting nach 37 Minuten und Müller nach einer Stunde für das 2:2 gesorgt. Viele weitere Chancen blieben ungenutzt, weshalb Müller meinte, niemand hätte sich über ein »5:3 oder 6:3« beschweren können.

Es fügte sich ins Bild der aufgewühlten Gemengelage, dass außersportliche Themen ähnlich viel Aufmerksamkeit erfuhren wie das Spiel gegen PSG. Wie Jerome Boatengs Abschied am Saisonende. Der 32 Jahre alte Innenverteidiger, den Flick als Stammkraft sehr schätzt und für dessen Verbleib er sich stets eingesetzt hatte, werde »durch das große Tor« gehen, sagte Hasan Salihamidzic. Auf die Frage, ob er sich für die kommende Saison nach einem neuen Trainer umsehe, wich der Sportvorstand aus. Ebenso wie Flick stets, wenn er zu seiner Zukunft befragt wird. Der 56-Jährige gilt weiter als Nachfolgekandidat für Bundestrainer Joachim Löw nach der EM, wenngleich Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sein Veto wiederholte, als er in Richtung DFB sagte: »Sie werden ohne Hansi planen müssen.«

Doch die Spannungen rund um Flick werden immer mehr zur Belastungsprobe. Der Trainer wirkt zunehmend genervt. Als er gefragt wurde, wie er es finde, dass Salihamidzic Boatengs Abschied kurz vor dem Anpfiff am Fernsehmikrofon bestätigt hatte, sagte Flick: »Alles muss ich nicht beantworten, weil ich es auch nicht möchte. Ich muss da ein bisschen, wie soll ich sagen, schauspielern. Das gehört auch dazu zum Trainerjob.« Das klang wie: Ich halte lieber den Mund, verhalte mich professionell und mache halbwegs gute Miene zum bösen Spiel. Bestätigt hatte er damit aber den Eindruck, dass die jüngste Aussprache mit Salihamidzic und das verkündete Zusammenraufen nicht nachhaltig waren. Es wäre mittlerweile fast weniger überraschend als ein Halbfinaleinzug, wenn Flick nach dieser Saison um eine Freigabe aus seinem Vertrag bis 2023 bitten würde. Arena-Besucher Löw hatte in der Halbzeitpause auf die Nachfolgerfrage geantwortet: »Das muss er selber entscheiden, ob er das machen möchte.«

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