Gerichtsfeste Beweise für mehr Radsicherheit

Eine neue Online-Karte soll die Einrichtung von Radwegen in Berlin erleichtern

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Stefan Lehmkühler gibt selbst zu, dass die Bezeichnung für die von ihm erstellte Online-Karte »ein schönes Monstrum« ist: Der Koordinator des Vereins Changing Cities präsentierte am Mittwoch eine »Rad-Unfallkostendichte-Karte«. Vorderhand macht sie das jeweilige Gefahrenpotenzial für Radfahrerinnen und Radfahrer auf Berlins Straßen sichtbar. Darüber hinaus ist die Übersicht aber insbesondere als Handreichung für die Verwaltung von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) bei der Einrichtung von Radwegen gedacht.

Denn damit ein neuer Radweg auch vor Gericht durchkommt, muss von der Senatsverwaltung »eine konkrete Gefahr für Radfahrende nachgewiesen werden«, so Lehmkühler. Einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zufolge wäre das jedenfalls eine hinreichende Begründung für die Anordnung eines Radwegs. Und hier wiederum kommt die in Euro pro Meter Straßenlänge angegebene Unfallkostendichte ins Spiel, die die durchschnittlichen »volkswirtschaftlichen« Kosten für einzelne Straßenbereiche abbildet. Dabei wurde etwa ein Verkehrstoter laut Bundesanstalt für Straßenwesen zuletzt mit 1,1 Millionen Euro angesetzt, ein Schwerverletzter mit 112.000 Euro, ein Leichtverletzter mit 5.000 Euro. Auf ganz Berlin bezogen kommt man so für die Jahre 2018 und 2019 auf fast 428,2 Millionen Euro, die als »volkswirtschaftlicher Schaden« aus Unfällen von Radfahrerinnen und Radfahrern mit Pkw entstanden sind. Wobei die Summe inzwischen höher liegen dürfte. Schließlich sind nach Polizeiangaben im vergangenen Jahr 17 Radfahrende im Berliner Straßenverkehr ums Leben gekommen - dreimal mehr als 2019.

Lehmkühlers Karte dröselt letztlich alle erfassten »Schäden« für die einzelnen Straßen auf. Jede Unfallstraße über 165 Euro pro Meter liegt über dem Berliner Durchschnitt von 2018 und 2019. Umso höher der Wert, umso gefährlicher der Weg. »Das mag etwas bösartig klingen«, sagt Lehmkühler. Aber schlussendlich ließe sich so das Gefahrenpotenzial einzelner Straßen quantifizieren und vergleichen. Wichtig ist dem Changing-Cities-Aktivisten und Grünen-Direktkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im Wahlkreis Mitte 2 mit Blick auf die Karte jedoch vor allem eines: »Jetzt kann die Senatsverkehrsverwaltung loslaufen und an einer beliebigen Gefahrenstelle Radwege einrichten.«

Tatsächlich haben die politisch, aber eben auch juristisch ausgefochtenen Kämpfe um die Pop-up-Radwege gezeigt, wie wichtig es ist, einzelne Maßnahmen gerichtsfest nachzuweisen. Und ein Ende der aktuellen Radwege-Politik ist vorerst nicht in Sicht. Im Gegenteil. Erst am Mittwoch wurde etwa am Kottbusser Damm in Kreuzberg damit begonnen, einen Pop-up-Radweg zu verstetigen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat parallel dazu freilich auch der Radverkehr deutlich zugenommen. So wurden nach Angaben der Verkehrsverwaltung im vergangenen Jahr 14 Prozent mehr Räder an den Zählstellen erfasst als 2019. Bei der Vorstellung des aktuellen Jahresberichts versprach Verkehrssenatorin Günther Ende März dann auch: Ihr Haus werde »jetzt und in den kommenden Jahren« durch »ein neues Radverkehrsnetz von rund 3000 Kilometern« und »deutschlandweit einzigartige Standards« den Trend zum Rad in Berlin stärken.

Stefan Lehmkühler ist skeptisch, ob die von ihm vorgelegte Karte in der Verwaltung seiner Parteifreundin nun »das brennende Verlangen« weckt, überall, wo es gefährlich ist, neue Radwege anzuordnen. Aber: »Im Endeffekt gibt es keine Ausrede mehr.«

Die Online-Unfallkostendichte-Karte ist auf stefan.lehmkuehler.berlin zu finden.

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